BIKE Magazin
· 04.05.2021
Schweres Material, zu viel Fokus auf die Abfahrt und immer nischigere Subkulturen: Thomas Mayer aus Tirol rechnet in seinem Leserbrief mit den Entwicklungen des MTB-Sports ab.
Als uns die E-Mail mit dem Betreff „Eine andere Sichtweise“ von unserem Abonnenten Thomas Mayer erreichte, war für uns klar: Auch dieser anderen Sichtweise wollen wir eine Plattform geben. Wir haben uns deshalb dazu entschieden, die Lesermeinung in vollem Umfang auf unserer Website zu veröffentlichen. Die Inhalte dieses Artikels geben die persönliche Meinung von Thomas Mayer wieder. Am Ende des Artikels steht unsere Antwort, die wir ihm geschrieben haben.
„Ich bin Biker und lese Euer Magazin seit 1989. Ich kann die Taten unserer Gesellschaft in den meisten Bereichen nicht mehr nachvollziehen und leider hat mein Unverständnis inzwischen auch das Thema Biken durchflutet. Es gab eine Zeit, in der ich mit meinen Freunden lange Touren gefahren bin, wo eine 30 Kilometer lange Asphaltanfahrt für niemanden ein Problem, sondern ein Windschattenspaß war. Das hat sich geändert: Inzwischen kann man kaum noch jemanden zu einer Tour mit längeren Asphaltfahrten überreden. Es sei einfach zu langweilig. Mit modernen 14-Kilo-Fullys mit 2,35 Zoll breiten Reifen macht so etwas keinen Spaß mehr. Die Schlussfolgerung: Der Großteil fährt inzwischen mit dem Auto zum Berg und beginnt dann erst dort mit dem Biken. Unlängst hat sich ein Freund von mir ein E-Bike gekauft, weil ihm selbst das Bergauffahren mit seinem Fully zu mühselig ist. Ich habe das Gefühl, die modernen Bikes legen den Fokus hauptsächlich auf die Abfahrt – also vielleicht auf 15 Minuten einer dreistündigen Tour – und der Rest scheint nicht relevant zu sein. Ein Mountainbike war einmal ein Fahrrad für jede Straße und jeden Pfad und die Fahrtechnik hat daüber entschieden, in welchen Schwierigkeitsgrad man sich wagen kann. Mittlerweile machen potente Fahrwerke die fahrtechnischen Raffinessen begab fast überflüssig, aber das hat einen hohen Preis: Durch die hohen Gewichte der Bikes machen 90 Prozent der restlichen Tour weit weniger Spaß. Zu allem Überfluss werden E-Bikes auch Eurerseits als umweltfreundliche Alternative gepriesen (Anm. d. Redaktion: In unserem Verlag erscheint auch das EMTB Magazin. In BIKE behandeln wir das Thema E-Bike nicht). Wenn sich dies auf Pendler bezieht, die ihr Auto für die Fahrt mit dem Rad stehen lassen, befürworte ich diesen Schritt uneingeschränkt (allerdings wären dann Bikes mit Licht und Schutzblechen und nicht Fullys mit breiten Stollenreifen sinnvoll). In meiner Heimat Tirol ist man mit einem muskelbetriebenen Bike inzwischen schon ein Ausnahmesportler. Meiner Ansicht nach sollte für sportlich genutzte E-Bikes eine Steuer erhoben werden, weil dies unsere Umwelt zusätzlich belastet und keinesfalls entlastet – super Entwicklung Teil 1.
Als Verfechter von Zweifach-Antrieben habe ich mir kürzlich ein 1x12-Hardtail mit Shimano SLX gekauft, da dies ja allseits als einzig wahre Antriebstechnik verkauft wird. Man nehme Slicks, montiere diese aufs Bike und fahre dann im Vergleich mit dem Bike und dem Rennrad. Ich bin extrem enttäuscht von dieser Technologie – das Kettenblatt läuft (den großen Zähnen sei Dank) extrem unruhig, das 10er-Ritzel ist ein absoluter Notgang (fühlt sich auch so an) und das 51er-Ritzel läuft mit einem derartigen Schräglauf, dass ich auch dies nur als Notgang verwende. Fazit: Es bleibt ein 1x10-Antrieb mit extrem schlecht laufender Kette und grober Stufung. Auch dies passt also in die Entwicklung des Sports, dass Radfahren an sich nicht mehr das essentielle Element zu sein scheint. Es wäre an dieser Stelle mal interessant, eine Zweifach-Schaltung mit einer 36/24-Kurbel und einer 11-36-Kassette im Vergleich zu einer Einfach-Übersetzung mit 32er-Blatt und 10-51er-Kassette zu testen (Anm. d. Redaktion: https://www.bike-magazin.de/komponenten/schaltungen/test-2017-mountainbike-schaltungen). Neben dem schlechten Tretgefühl bin ich mir sicher, dass da einige Watt verloren gehen. Für den Cross-Country-Sport und Downhill ist die Einfach-Technik bei Schaltungen sicher super, aber für alle anderen kann ich den Vorteil nicht nachvollziehen bzw. ist der Preis des schlechten Kettenlaufs deutlich zu hoch – super Entwicklung Teil 2.
Auch der Konflikt zwischen Wanderern und Bikern ist so nicht zu lösen. Einerseits bevölkern Scharen von E-Bikern den Wald, von denen die meisten mit Muskelkraft nie dort hin kämen, wo sie fahren (meiner Ansicht nach hat im Wald als Freizeitbeschäftigung nichts/niemand etwas mit einem Motor verloren), andererseits rasen immer mehr protektorenvermummte Biker ins Tal, die alleine schon aufgrund der Geschwindigkeit nicht mit den Wanderern harmonieren. Da wird es keine andere Lösung geben als die Wege und Naturtrails für alle Biker zu sperren – super Entwicklung Teil 3.
Biken als Rennsport – es ist traurig wie tot der Bike-Rennsport ist. Es gibt nur mehr eine Handvoll XCO-Rennen und von denen nehmen nur Insider Kenntnis. Biken wäre, meiner Ansicht nach, 'der Radsport' für unsere Kinder und Erwachsenen. Spaß, Abwechslung, körperliches Training, Gemeinschaft und ja, die Besten üben den Rennsport aus. Dafür müsste jedoch das Interesse der Gesellschaft geweckt werden und dies funktioniert scheinbar nicht in geschlossenen Gesellschaften mit immer steileren und schwierigeren Cross-Country-Kursen, wo selbst die Profis (insbesondere die Frauen) nur mit Mühe rauf und wieder runterkommen (Stichtwort „Gerutsche“ in einem feuchten Rockgarden). Warum wird nicht eine dynamische MTB-Rennserie entwickelt, die dort stattfindet, wo die Menschen wohnen – nichts wäre leichter als 45-min-Rennen in Innenstädten, Parks, am Strand & ja auch auf eigenen Kursen. Ich bin überzeugt, dass dies den ganzen Radsport beleben würde, aber alles wird immer spezifischer und technisierter und aufwändiger und für die breite Masse uninteressant – super Entwicklung Teil 4.
Zum Abschluss – nicht, dass der Eindruck entsteht, ich wäre in den 80ern hängen geblieben. Auch ich fahre oft und gerne anspruchsvolle Trails. Es gab super Entwicklungen – Federgabeln, Scheibenbremsen, Zweifach- statt Dreifach-Antriebe, Geometrieverbesserungen ... all das möchte auch ich nicht missen, aber irgendwann ist, meiner Ansicht nach, aus der Entwicklung eine Verwicklung in immer mehr Neues & Konsum geworden. Dieser Trend betrifft leider die ganze Gesellschaft. Ich würde mir wirklich wünschen, dass ihr Euch von den shreddenden Abfahrtsbildern verabschiedet, das Bike wieder als Allround-Fahrrad betrachtet, das Radfahren (nicht das Runterfahren) wieder in den Fokus rückt und das Thema Nachhaltigkeit (Fussabdruck von jedem neuen Produkt – inkl. Transport, Arbeitsbedingungen …) endlich umfassend betrachtet wird.“
„Lieber Thomas, danke für deine treue Leserschaft und die Zeilen, in denen du ein Gefühl beschreibst, das sich in Teilen der Bike-Szene breit macht. Wir würden deinen Ansichten gerne eine breite Plattform geben und deinen Leserbrief auf unserer Website so veröffentlichen.
Übrigens: An dem Thema Nachhaltigkeit sind wir mit unserer RIDE-GREEN-Aktion dran. Auch das Thema „Akzeptanz auf den Trails“ haben wir im vergangenen Jahr mit unserer Kampagne LOVE TRAILS – RESPECT RULES angegangen und werden weiter dranbleiben:
Wir wünschen Dir weiterhin viel Spaß auf dem Bike. “
Ihre Meinung ist uns wichtig! Uns erreichen wöchentlich viele Lesermeinungen per E-Mail oder über Social Media. Ausgewählte Lesermeinungen werden wir in den kommenden Monaten hier auf der BIKE-Website veröffentlichen. Schreiben Sie uns unter bikemag@bike-magazin.de
Benjamin Freiherr von Wolf-Zdekauer per E-Mail:
„Liebes Bike-Magazin-Team,
vielen Dank für die Courage, dieser Lesermeinung Raum zu geben.
Aus der Seele gesprochen
Viele der angesprochenen "super Entwicklungen" liegen vielen Bikern auf Herz und Seele. Klar, Biken ist immer noch der tollste Sport, den es gibt und Bikes die technisch faszinierendsten Sportgeräte. Doch der Spirit ist getrübt – Identifikation wandelt sich in Irritation, Polarisierung und Distanzierung. Das fängt bei den Antrieben und dem Gewicht an, geht über elektronische Funk-Komponenten und hört beim E-Bike auf. Bei einigen Themen bin ich anderer Auffassung, doch ich bin ganz bei Thomas Mayer, wenn er vom Unverständnis und der Unzufriedenheit über Entwicklungen und Trends spricht – vor allem über die Art, wie diese vertrieben bzw. durchgetrieben werden und wie biker diesen unkritisch folgen.
Wenig Wissen – viel Meinung
Was gestern schlecht war, wird morgen gehyped und vice versa – Felgenbreiten, Schläuche wenngleich anderes Material – um nur eine Auswahl zu nennen. Ich lerne gerne dazu, werde jedoch nur ungern belehrt. Jahrelangen Mountainbikern wird wort- und bildgewaltig erzählt, dass sie beim Setup ihres Bikes und in der Fahrtechnik sowieso alles falsch gemacht haben, ohne wirklich zu wissen, wie man fährt, wie die Touren aussehen, woran sie Spaß haben und welche Bedürfnisse sie haben. In Sachen Technik ist das noch OK solange Alternativen vorhanden bleiben, doch genauso beliebig wandeln sich offenbar Anschauungen und Verhalten. Jedes zivilatorisch errungene Benehmen kann getrost beiseite gelegt werden, wenn dadurch mehr verdient wird. Der aktuelle "Push" ist eher einer vom Weg ab, als nach vorne.
Jetzt kommt "Love Trails – Respect Rules" und "Ride Green" zur Sprache. Im Ernst? Keine Frage – absolut richtig, doch dass dies kein integrales Grundthema bei unserem Sport in der Natur ist und solche Betonung erfordert, zeigt doch nur, wie weit sich die Bike-Branche und mit ihr ein Teil der Biker vom Ursprungsgedanken entfernt und wie viel sie in den letzten Jahren versäumt haben.
Überdenken
Dem Idealbild jagte ich selbst hinterher: Touren bestehend nur aus flowigen Singletrails, technischen Abfahrten mit Anliegern, Sprüngen oder zumindest Einlagen von Pumptrack-Runden. Weil nicht alles vor der Haustür vorhanden, wurden die Touren zeitaufwändig, der Materialverschleiß stieg und mit dem Reinigungs-, Wartungs- und Vorbereitungszeit – im Alltag kaum mehr machbar. Meine Touren wurden seltener. Damit ging meine ohnehin Low-Level-Fitness noch weiter "Downcountry". Die Touren wurden Torturen. Die Freude ging verloren. Seit dem ich mich wieder mit Feld- und Waldweg-Runden zum regelmäßigen Training zufrieden gebe, kam auch der Spaß auf Touren zurück, obwohl ich zu diesen MTB-Anfängen anspruchsloses "mile-munching" mit Klickpedalen nicht zurück wollte: Vom All-Mountain- teilweise zurück zum Gravel-CC-Biken. Die vielen Facetten am Mountainbike-Sport sind das tolle. In der Wandlungsfähigkeit besteht auch die Chance zum Besseren, wenn man sich reflektiert. Das wünsche ich jedem Biker und Bike-Schaffenden.
In diesem Sinne, happy trails!
Bernd Hagen über Facebook:
„Nun, abgesehen davon, dass ich mit meinem 1×12-Antrieb recht zufrieden bin, hat es Thomas mit seinem Leserbrief gut auf den Punkt gebracht. Letztenendes durchläuft der MTB-Sport in der Breite gerade eine parallele Entwicklung durch, welche der alpine Skisport vor rund 30 Jahren durchlaufen hat und inzwischen zu einem großen Teil nur noch aus Sauftourismus besteht.“
Gerd Bayer über Facebook:
„Ich fahre inzwischen auch 30 Jahre MTB, und habe alle Entwicklungen mitgemacht. Inzwischen bin ich auch bei einem All Terrain 1x12 gelandet und glücklich damit. Es geht mir nicht mehr um Geschwindigkeit, sondern weiterhin um das Naturerlebnis, den Spaß am Biken, bergauf und bergab! Bikeparks für Kids und Downhiller sind gut, aber nicht meine Welt. E-Bikes haben mit Biken nicht mehr viel zu tun, und im Gelände nichts zu suchen, leider auch einige Fahrer derselben. Ein Pedelec hat aber durchaus seine Berechtigung, um das Auto stehen zu lassen, z.B. auf dem Hin- und Rückweg zur Arbeit. Ansonsten, etwas Rücksichtnahme auf Wanderer, dann gibt es kaum Probleme.“
Dieter Nussher über Facebook:
„Zu 95% mit dem Statement von Thomas einverstanden! Einzige Ausnahme: Ich finde 1x12 genial: wartungsarm, extremst langlebig (hab auf einem meiner Bikes erst nach über 7000 km Kassette & Kette gewechselt, war allerdings erst halb durch) und da springt gar nichts. Und ich bin auch jahrelang 2-fach gefahren…“
Marcus Holschuh über Facebook:
„Sehe das genauso wie Dieter! Bis auf das Thema Schaltung stimme ich Thomas voll und ganz zu! Ich höre auf meinen Touren im Odenwald sehr oft: Schau, das ist mal einer ohne Hilfsmotor! Bin kein Freund des E-Bike-Booms und nur auf Abfahrtsorientierung. Das Hochfahren gehört dazu! Leider ist der Trend ein Spiegelbild der Gesellschaft geworden, nur Spaß, danach lange nichts. Dabei kann auch das Hochfahren Spaß machen und vor allem das tolle Gefühl, es selbst geschafft zu haben!“
Moritz Ehrenfried über Facebook:
„Auf 30 km Asphaltanfahrt habe ich jetzt auch nicht wirklich Lust und vor allem dauert das halt selbst mit nem CC-Bike locker eine Stunde. Viele Mountainbiker haben aber schon auf 5 km keine Lust und zu allen Spots mit dem Auto hinzufahren, finde ich keine gute Entwicklung. Ich nutze da gerne den ÖVNP. Den Sinn von Einfach-Schaltungen darf man gerne in Frage stellen, man muss dabei aber berücksichtigen, dass erst durch den gewonnenen Raum am Hinterbau gute 650B- und 29er-Fullys möglich wurden. Ich fahre heute mit einem 29er Enduro deutlich längere Touren als früher mit dem 26-Zoll-All-Mountain, da das Bike einfach besser läuft. Die Tatsache, dass es kaum noch gute Reifen unter einem Kilo gibt, finde ich auch echt nervig.“
Axel Theurer per E-Mail:
„Schön, von jemandem so fundiert zu lesen, der mir so sehr aus der Seele spricht. Ich bin BIKE-Leser seit 1990 und habe mich seither auch "mitentwickelt". Mit Unterbrechungen in den Neunzigern, als mir die Materialschlacht und übersteigert vermittelter Konsumzwang auch schon etwas auf die Nerven ging. Dass ich heute im Wald auf einem Stumpjumper als Exote angeschaut werde, irritiert mich auch immer wieder: "Kein Motor? Wie? Das gibt's noch?" Am liebsten fahre ich längere Touren, wofür ich durchaus auch einen höheren Asphaltanteil in Kauf nehme. Die Anfahrt mit dem Auto vermeide ich, wo es geht. Da ich als Resident im Schwäbischen Wald genug Trails vor dem Haus habe, geht das auch. Wenn auch nicht legal, aber so bemüht man sich eben umso mehr um Höflichkeit und Anstand gegenüber Fußgängern, die einem auf den Wanderwegen begegnen.
Ich lese die BIKE nach wie vor gerne und freue mich über Euer Engagement "Love Trails – Respect Rules", das als Erinnerung an alle auf meinem Rahmen klebt.“