Max Fuchs
· 18.11.2022
Bold Linkin 150 Pro vs. Santa Cruz Hightower könnten mit 150 Millimeter Federweg, maximaler Einsatz von Carbon, absolute Highend-Technik auf dem Papier kaum ähnlicher sein. Ob der Renneinsatz bei der Hörnli Trailjagd in Arosa doch Unterschiede bei den beiden All Mountain Bikes offenbart?
Krampfhaft klammert sich Thomas an meinen Schultern fest. Sein konzentrierter Atem streift mein linkes Ohr. Mir läuft die Gänsehaut über den Rücken. Wir zwängen uns zu zweit auf ein Mini-Pedalo, das kaum länger ist als unsere beiden Schuhsohlen und zuckeln in Zeitlupe über die Almwiese Richtung Ziel. Nein, wir haben nicht etwa den BIKE-Test geschwänzt und vergnügen uns stattdessen in der Kinderecke auf dem Rummelplatz. Wir stecken mitten im Renngeschehen der Hörnli Trailjagd, einem Spaß-Event im Schweizer Urlaubsort Arosa. Unseren All Mountain Bikes – das Bold Linkin 150 Pro und das Santa Cruz Hightower – die sich alpines Gelände als Paradedisziplin auf die Fahnen schreiben, scheint diese Veranstaltung wie auf den Leib geschneidert. Denn neben den Geschicklichkeitsprüfungen auf der Almwiese erwartet uns in erster Linie Graubündens feines Trail-Angebot als Jagdrevier für unser All-Mountain-Duell.
Kandidat eins ist das brandneue Santa Cruz Hightower 3, das quasi eben erst die Montagehallen der kalifornischen Edelschmiede verlassen hat. Was ist neu? Bis auf den Kofferraum im Unterrohr kann man auf den ersten Blick kaum Unterschiede zum Vorgängermodell erkennen. Die Veränderungen stecken im Detail: Eine modernisierte Geometrie und eine optimierte Kinematik sollen dem Bike zu noch mehr Abfahrtsstärke verhelfen. Unser Test-Bike, das Hightower GX AXS RSV, kommt mit Srams preiswerter Elektro-Schaltung (GX AXS) und Reserve-Carbon-Laufrädern. Bei einem Preis von 9199 Euro dürfte das Santa Cruz für den Großteil der Biker aber vermutlich nicht mehr als ein Traum bleiben. Ein etwas budgetfreundlicheres Paket schnürt der Konkurrent Bold. Zwar wird auch das 7299 Euro teure Bold Linkin 150 Pro ein großes Loch in die meisten Sparbücher reißen, dafür gibt’s für weniger Geld eine ebenso funktionale Ausstattung wie bei Santa Cruz. Komponenten aus Shimanos XT-Regal, ein Fahrwerk mit erstklassiger Öhlins-Gabel, einen Fox-Dämpfer sowie ein Rahmen aus Carbon – klingt verlockend! Zudem setzen die Schweizer Innovationstreiber den Maßstab in Sachen Systemintegration: Der Dämpfer versteckt sich geschützt vor Dreck und Spritzwasser im Unterrohr. Ein Staufach bietet viel Platz für Verpflegung und Ersatzteile. Sämtliche Leitungen verlaufen vom Lenker aus sauber integriert durch den Vorbau direkt in den Rahmen. Tauscht man den Umlenkhebel am Hinterbau, lässt sich der Federweg am Heck sogar von 150 auf Trailbike-typische 135 Millimeter kürzen. Kurzum: Was die Liebe zum Detail angeht, macht dem Bold so schnell keiner was vor.
Zurück zur Hörnli Trailjagd: Endlich hinter der Ziellinie der Pedalo-Challenge angekommen, sammeln wir hektisch unseren Stempel ein und knüllen den Missions-Pass zurück in den Rucksack. Testfahrer Thomas schnappt sich das Bold Linkin 150 und jagt in den Uphill zum nächsten Checkpoint. Ich folge mit dem Santa Cruz Hightower. Unser dritter Tester Sergej muss auf diesem Abschnitt mit meinem „Fotografen-Bike“ (außer Konkurrenz) vorliebnehmen. Motiviert fasse ich die nächste Kehre ins Auge, bevor der Trail hinter einem Felsmassiv verschwindet. „Bis zur Prätschalp habt Ihr noch 200 Höhenmeter vor Euch!“, ruft uns ein Mitglied des Orga-Teams zu – genügend Zeit also, um die Kletterfähigkeit der beiden All Mountains zu testen.
Schnell wird klar: Beide Bikes eint zwar derselbe Einsatzbereich, die Federwegsklasse, das Laufradmaß und eine ähnliche Geometrie. Beim Kräftemessen auf der Trailjagd offenbaren sich aber trotzdem deutliche Unterschiede. So nehmen wir auf dem Bold den Anstieg mit einer spürbar sportlicheren Sitzposition in Angriff. Verantwortlich dafür sind der üppige 478er-Reach und der minimal längere 50-Millimeter-Vorbau. So richtig verfestigt sich der sportliche Charakter aber erst, als Thomas zum Wiegetritt ansetzt. Denn auch mit offenem Fahrwerk bleibt der Hinterbau erstaunlich ruhig. Will man für maximale Effizienz auch die letzten Antriebseinflüsse am Heck eliminieren, gelingt das mit dem Tracloc-Remote, auch ohne die Hände vom Lenker zu nehmen. Das Pendant zu Scotts Twinloc-System steuert am Bold allerdings nur den Dämpfer an und kennt drei Modi: Offen, Plattform und Lockout – ein Segen für knackige Zwischenanstiege. Damit kaschiert das Bold auch den kleinen Rückstand beim Gesamtgewicht. Denn wegen der schwereren Alu-Laufräder bringt das Linkin 340 Gramm mehr auf die Waage als das 14,3 Kilo leichte Hightower.
Was die Kraftübertragung anbelangt, kann das Santa Cruz dem vortriebsorientierten Bold Linkin trotzdem nicht das Wasser reichen. Selbst die Ingenieure räumen ein, die Antisquat-Werte am neuen Santa Cruz Hightower zugunsten des Ansprechverhaltens reduziert zu haben. Sprich: Der Hinterbau wirkt beim Pedalieren sehr lebendig, generiert bei Unebenheiten oder losem Geläuf aber auch spürbar mehr Traktion als das Fahrwerk des Bold. Einen Hebel, um die Plattform vom Lenker aus zuzuschalten, gibt es beim Hightower nicht. Die Vor- und Nachteile beider Fahrwerke halten sich bergauf somit in etwa die Waage. Doch als das Uphill-Segment abflacht und vor uns die Prätschalp ins Sichtfeld rückt, sinkt der Sauerstoffgehalt in meinen Oberschenkeln doch noch in den roten Bereich. Ich muss Thomas mit dem Bold ziehen lassen. Ein Blick auf das kleine MaxxGrip-Logo auf dem Vorderreifen des Santa Cruz erklärt meinen Leistungsabfall. Bergab ist die klebrigste Gummimischung von Maxxis zwar über alle Zweifel erhaben, bergauf nimmt das zähe Rollverhalten aber auch mehr Kraft in Anspruch. Ein Punkt für die schnelleren MaxxTerra-Schlappen der Konkurrenz.
Inzwischen konnten wir uns bis zum fünften Checkpoint vorarbeiten. Unser nächstes Ziel: die Hörnli-Expressbahn. Vom Hörnli aus gilt es, die Trails Richtung Lenzerheide abzusahnen – so schreibt es der Missionsplan vor. Unser Ziel, auch in der Gesamtwertung mitzumischen, haben wir zu diesem Zeitpunkt aber innerlich bereits abgehakt. Die vielen Foto-Stopps, Bike-Wechsel und das Feintuning am Setup werfen uns im Zeitplan immer weiter zurück. Ob wir es noch innerhalb der vorgegebenen Zeit ins Ziel schaffen?
„Ein Trail-Wochenende der Superlative“ – das verspricht das Veranstalterpaar Karen Eller und Holger Meyer den Teilnehmern der Hörnli Trailjagd. Schon seit 2017 kombiniert die Veranstaltung Enduro-Racing mit Freizeitspaß. Gefahren wird in Zweier- oder Dreier-Teams. Vor dem Start erhält jeder eine Karte der Bike-Region zwischen Lenzerheide und Arosa. Darauf eingezeichnet befinden sich Checkpoints, bei denen alle Mitstreiter in der vorgegebenen Zeit Stempel einsammeln müssen. Geschicklichkeitsprüfungen, wie verschärftes Topfschlagen, Pedalofahren oder ein kleiner Staffellauf, sorgen für Abwechslung und Lachanfälle gleichermaßen. Auf den Transferstrecken dazwischen gilt es, mit Gondelunterstützung Graubündens beste Singletrails zu genießen. Für die Route zurück ins Ziel nach Arosa ist jedes Team selbst verantwortlich. Wer als erstes alle Checkpoints gefunden und die Zusatzaufgaben erfüllt hat, gewinnt die Jagd. Die Tageskarte für alle Arosa-Bergbahnen liegt dem Starterpaket bei. Preis: 85 Euro pro Person.
Mit der Uhr im Nacken und maximaler Geschwindigkeit prügeln wir die beiden Kontrahenten durch die schroffe Felslandschaft oberhalb des Bikeparks Lenzerheide. Und wieder einmal bestätigt sich, was wir schon in früheren Tests gezeigt haben: All Mountain Bikes wachsen immer mehr zu Mini-Enduros heran. Bergauf klettern die Bikes zwar behände. Ihre Kernkompetenzen offenbaren sich aber erst auf anspruchsvollen Abfahrten. Egal, was der Trail in den Weg legt, sowohl das Santa Cruz Hightower als auch das Bold Linkin 150 Pro meistern jede Schlüsselstelle ohne Probleme. Im direkten Vergleich verträgt das Bold durch den etwas längeren Radstand und die sportlichere Fahrposition aber eine Nuance mehr Geschwindigkeit. Ansonsten haben sich beide Parteien bei der Geometrie nahezu auf Einheitswerte geeinigt. Die Lenkwinkel messen jeweils um die 64,5 Grad, die Tretlagerhöhe ist nahezu identisch, und auch die Kettenstreben liegen nur zwei Millimeter auseinander. Damit rangieren beide Bikes auf der laufruhigen Seite. Die moderat langen Kettenstreben ermöglichen auf flowigen Trails trotzdem noch zackige Richtungswechsel oder gar Manuals. Bei Spielereien im Gelände profitiert das Santa Cruz von seinen leichten Laufrädern und lässt sich damit etwas handlicher dirigieren. Wer etwas Laufruhe zugunsten eines leichtfüßigeren Handlings opfern möchte, hat bei beiden Bikes die Möglichkeit, via Flipchip die Geometrie minimal anzupassen.
Beim Showdown auf der letzten Abfahrt vom Rothorn zurück nach Arosa herrscht auch in Bezug auf die Fahrwerke Einigkeit: Am meisten Lob erntet der VPP-Hinterbau am Santa Cruz Hightower. Das Ansprechverhalten begeistert auf jedem Untergrund. Selbst schnellste Schlagabfolgen saugt der Dämpfer gierig auf. Lose Kurven im Geröll quittiert das Bike so mit einer Extraportion Traktion. Sprünge oder dicke Brocken pariert der Hinterbau mit dem perfekten Maß an Progression. Die 140 Millimeter am Heck des Hightower stehen dem etwas lineareren Hinterbau des Bolds mit 150 Millimetern Hub in nichts nach. An der Front dagegen setzt sich die sensiblere Fox 36 gegen die Öhlins-Gabel durch.
Als unser Dreiergespann stoppt, um den letzten Checkpoint abzuhaken, zeigt das GPS-Gerät noch 300 Tiefenmeter bis zum Ziel an. Dafür bleiben uns gerade mal noch etwa zehn Minuten. „Das wird ’ne knappe Kiste!“, ruft Thomas, schnappt sich das Santa Cruz und jagt vor mir den Trail hinab. Sergej sprintet auf dem Bold hinterher. Diesmal muss ich mit dem Fotografen-Bike vorliebnehmen. Völlig aus der Puste würgen wir die letzte Asphaltrampe Richtung Zielbogen hoch. Ich umklammere krampfhaft den Lenker, Thomas’ Atem spüre ich förmlich im Nacken. Und wieder stellt es mir die Haare auf, als wir in letzter Sekunde über die Ziellinie rollen.
“Santa Cruz und Bold begegnen sich im Gelände auf Augenhöhe. Das Linkin schnappt sich die Uphill-Wertung. Dafür liegt das Hightower in der Abfahrt knapp vorne. Wer das Glück hat, sich eines dieser Bikes leisten zu können, bekommt beim Bold Linkin 150 Pro das lohnendere Angebot. Spielt das Geld keine Rolle, gibt’s beim Santa Cruz Hightower denselben Fahrspaß, Kultstatus inklusive.”
* Das BIKE-Urteil gibt die Labormesswerte und den subjektiven Eindruck der Testfahrer wieder.
Das BIKE-Urteil ist preisunabhängig. BIKE-Urteile: super (250–205 P.), sehr gut (204,75–180 P.), gut (179,75–155 P.), befriedigend (154,75–130 P.), mit Schwächen (129,75–105 P.), ungenügend (104,75–0 P.). Die Gewichtung der Punkte in den einzelnen Bewertungskriterien variiert je nach Bike-Kategorie.