Stefan Loibl
· 16.06.2017
Mit dem neuen Genius für 2018 bringt Scott ein superleichtes All Mountain, das gleichermaßen 27,5- und 29-Zoll-Laufräder schluckt. Der Rahmen ähnelt dem Spark und wiegt rekordverdächtige 2249 Gramm.
Viel Ähnlichkeit zum Spark und eine ausgedünnte, aber vielseitige Flotte: So präsentiert sich das neue Genius von Scott für das Modelljahr 2018, das die Schweizer vor wenigen Tagen im Aostatal erstmals enthüllt haben. Um der ganzen Plus- und Reifenbreiten-Diskussion ein Ende zu setzen, versieht Scott zukünftig keines seiner Bikes mehr mit dem Plus-Zusatz. Breite Reifen bis 2,8 Zoll sind bei den 27,5-Zoll-Bikes aber im kompletten Scott-Programm die Regel. "Schmale 27,5-Zoll-Reifen wird es bei uns nur noch bei einigen Aspect-Modellen geben, sonst nirgends", sagt Entwicklungsleiter Rene Krattinger. Im neuen Genius mit seinen 150 Millimetern Federweg hat der Käufer bei allen Modellen die Wahl, ob er 27,5er-Pneus in 2,8 Zoll Breite oder 29x2,6 Zoll fahren will. Insgesamt wurde die Genius-Palette also deutlich ausgedünnt. Während im aktuellen Modelljahr zehn Genius-Modelle und vier Plus-Varianten erhältlich sind, werden es im Modelljahr 2018 noch sieben sein, plus ein oder zwei Contessa-Bikes.
31. August 2003: An diesem Tag schlug die große Stunde von Thomas Frischknecht und das Scott Genius kam erstmals zu großen Ehren. Denn was viele nicht wissen: Frischknecht fuhr 2003 in Lugano mit einem Genius zu seinem ersten Marathon-Weltmeistertitel. Wenige Wochen zuvor hatte Scott das Genius erstmals der Öffentlichkeit präsentiert, 2004 sollte es in die Läden rollen. Die erste Generation des Genius RC, mit der Frischi unterwegs war, hatte eine 100-mm-Gabel und am Dämpfer 90 Millimeter Hub. 2009 kam dann die zweite Generation des Genius, erstmals mit voluminösem Equalizer 2-Dämpfer und 150 Millimeter Federweg. Im Jahr 2013 läutete das Genius wieder eine neue Ära ein: Als erstes All Mountain-Fully mit 27,5-Zoll-Laufrädern. Der Dämpfer wanderte zudem unter das Oberrohr. 2016 legte Scott das Genius schließlich erstmals als Plus-Version auf. Auch die neueste Evolutionsstufe des Genius bleibt (trotz Fox 36 im Tuned-Modell) ein klassisches All Mountain, also ein Tourenfully für Einsteiger und Profis. Aber eben kein Enduro.
Über einen Flipchip an der oberen Dämpferaufnahme kann man die Geometrie im Nu anpassen. Hat man die passenden Laufräder zur Hand, dauert der Boxenstopp keine fünf Minuten. Ob man im Shop zum Genius 700 oder 900 greift, ist also grundsätzlich egal. Der Chip sorgt dafür, dass man mit den großen Rundlingen eine Tretlagerhöhe von 346 Millimeter (mit 27,5 Zoll in der Einstellung "High" 340 mm) erreicht und der Lenkwinkel um 0,6 Grad auf 65,0 Grad abgeflacht wird. Der Sitzwinkel ist im 29er-Setup zwar um ein halbes Grad flacher, aber mit 74,8 Grad immer noch sehr kletterfreundlich.
Eine Konstante beim Genius war und bleibt die Twinloc-Fernbedienung, mit dem sich Federgabel und Dämpfer des All Mountains mit einem Klick an die Fahrsituation anpassen lassen. Wie gemacht für das Genius ist der "Traction"-Modus, die mittlere Stufe, bei der ein Ventil die Luftkammer im Dämpfer verkleinert, ihn auf 110 mm strafft und gleichzeitig die Geometrie kletterfreundlich anhebt. Die Anlenkung des Dämpfers verläuft versteckt im Rahmeninneren. Vor allem in technischen Uphills und kurzen Gegenanstiegen im Trail haben wir gerne auf diesen Modus zurückgegriffen.
Die Tuned-Version des Genius war bei der Präsentation im Aostatal Maxxis Recon-Reifen ausgestattet, in 27,5 Zoll in 2,8 Zoll Breite und auf den 29er-Laufrädern in 2,6 Zoll Breite. Auf den 30 Millimeter breiten DT-Swiss-Laufrädern mit Boost-Naben sind die 63 (27,5) bzw. 62 mm breit. Maximal kann man im neuen Genius 27,5er-Reifen mit einer Außenweite von 65 mm fahren.
Bei der Rahmenkonstruktion vertrauen die Schweizer auf viele Details, die sich beim Spark seit vergangenem Jahr bewährt haben. Der Dämpfer sitzt auf dem Kopf stehend tief überm Tretlager, abgestützt durch die breite Trunnion-Aufnahme. Dadurch läuft der Großteil der Kräfte im Tretlagerbereich auf, der sowieso auf eine hohe Steifigkeit ausgelegt ist. Alleine 15 Lagen in unterschiedlichster Ausrichtung verwendet Scott an der unteren Dämpferaufnahme. Beim alten Genius saß der Dämpfer unterm Oberrohr, weshalb man den Bereich drumherum in ein dickes Kohlefaserkleid packen musste, um die gewünschten Steifigkeitswerte zu erreichen. Das erübrigt sich beim neuen Genius und macht sich beim Gewicht bemerkbar. Auch der kürzere Dämpfer wirkt sich in Sachen Steifigkeit positiv aus.
Im Vergleich zum alten Genius hat sich die Federkennlinie des virtuellen Viergelenkers radikal geändert. Dafür ähnelt sie dem Spark, was nicht verwundert bei der Ähnlichkeit des Bikes. Das Fox Nude EVOL-Federbein spricht sensibel an und bietet gegen Ende des Federwegs viel Progression. Wer lieber eine linearere Kennlinie bevorzugt, kann den einen Spacer, der sich im Standard-Setup des Fox-Dämpfers befindet, entnehmen. Erfreulich ist, wie wenig Bewegungen der Dämpfer beim Treten macht. Selbst im Wiegetritt bleibt das Fox-Federbein extrem ruhig. Antriebseinflüsse spürt man keine. Bei der Produktion des Carbon-Rahmens greift Scott auf dieselbe, aufwändige Fertigungsmethode und teuerste Carbon-Fasern zurück wie beim Spark. Der Genius-Rahmen besteht aus 900 Einzelteilen und Matten! Am Ende entsteht ein superleichtes Do-it-all-Bike, dessen Carbon-Rahmen inklusive Dämpfer gerade einmal 2249 Gramm wiegt. In der All-Mountain-Liga eine echte Benchmark!
Im Vergleich zum alten Genius hat sich bei der Geometrie einiges getan, dabei folgt Scott dem marktüblichen Trend. Ein flacherer Lenkwinkel, kürzere Kettenstreben (436 mm) und ein längerer Reach sollen das Bike für immer technischere Trails wappnen, ohne ihm die Verspieltheit und Agilität zu nehmen. Ein supersteiler Sitzwinkel zeigt, für welchen Einsatzbereich Scott das Genius baut. Selbst steilste Rampen und Trails soll man mit dem leichten All Mountain aus eigener Muskelkraft bezwingen können, ohne dass die Front zu früh steigt.