BIKE Magazin
· 20.06.2016
Was ist so besonders am Bold Linkin Trail? Diese Frage haben wir einigen Kollegen im Büro gestellt und nicht jeder hat es sofort erkannt: ein Fully ohne Federbein? Genau. Hier der ausführliche Test:
Der Traum vom ultimativen Bike treibt viele Entwickler und Biker um. Was passiert, wenn sich ein Industrie-Designer mit Konstrukteurs-Background und ein Grafikdesigner an einen Tisch setzen und sich das ultimative Bike selbst bauen? Es entsteht ein Fully, das es in dieser Form noch nie gegeben hat. Bei dem schicken Design mit innovativen, konstruktiven Lösungen verschmilzt. Ein Bike, das mehr ist als das – nämlich eigentlich zwei Bikes.
Willkommen in der Welt von Vincenz Droux und Oliver Kreuter. Vor wenigen Wochen haben die beiden Schweizer aus Lengnau bei Bern den Vorhang für ihre Marke Bold gelüftet und das Modell Linkin Trail präsentiert. Mit dem ersten serienreifen Modell reiste Vincenz Droux zu uns nach München. Er wirkt etwas nervös, doch nach den ersten Komplimenten für Idee, Design und technische Umsetzung schwindet seine Anspannung, und er erzählt stolz, dass er fürs Bike schon Anerkennung von Entwicklern großer Bike-Firmen bekommen hat.
Nun, was ist so besonders am Bold Linkin Trail? Diese Frage haben wir einigen Kollegen im Büro gestellt und nicht jeder hat es sofort erkannt: ein Fully ohne Federbein? Genau. Bold versteckt den Dämpfer im Carbon-Rahmen. Optisch klasse gelöst und technisch schlau umgesetzt. Das innen liegende Federbein ermöglicht ultrakurze Hebel, weil diese nicht ums Sitzrohr herumgeschlungen werden müssen. Daraus resultiert eine enorm hohe Rahmensteifigkeit, außerdem entkoppelt die Aufhängung den DT-Swiss-Dämpfer von seitlichen Belastungen. "Wir haben alles ausgereizt", verspricht Droux. Damit meint er den Boost-148-Standard hinten, breite Achsabstützung, eine 30 Millimeter dicke Achse im Hauptdrehpunkt, die kraftschlüssig verzahnt ist. Es gibt eine große Service-Klappe für die Dämpferabstimmung und eine kleine, um den Sag zu messen. Man habe die Antriebseinflüsse gering gehalten und das Bremsmoment reduziert, erzählt Droux. Das Test-Bike rollt zwar mit elf Gängen in unser Labor, der Rahmen verträgt jedoch auch Zweifach-Kurbeln inklusive Umwerfer. Der Verzicht auf eine Lackschicht spart Gewicht, die Fertigungstechnologie des Kohlefaserrahmens liegt auf dem neuesten Stand. Sogar an kleine Öffnungen im Steuerrohr, die wenigstens etwas Kühlluft in den Rahmen und zum Dämpfer strömen lassen sollen, wurde gedacht. Bedenken hinsichtlich der Hitzeentwicklung des Federbeins auf langen Abfahrten wischt Droux beiseite.
Ein weiterer Clou des Bikes ist jedoch die Laufrad-Kompatibilität. Ab Werk verschickt Bold das Linkin Trail mit 29er-Rädern, optional verkaufen die Schweizer einen passenden Satz mit 2,8 Zoll breiten 27,5-Reifen von WTB. Die Idee nennt sich Oneplus-Plattform: Man kann die Räder seinem Fahrstil, dem Untergrund und der Jahreszeit entsprechend anpassen.
Die Werte im Testbrief beziehen sich auf das Bike mit 29er-Laufrädern. Steckt man die 27,5er-Laufräder im dicken Plus-Format in den Rahmen, ändert sich das Bike wie folgt: Das Gewicht steigt um 450 Gramm, Überstandshöhe und Tretlager liegen etwa einen Zentimeter tiefer. An den Winkeln und Federwegen ändert sich nichts. Unser Testlabor bescheinigt eine hohe Steifigkeit (70,2 Nm/Grad), das Rahmengewicht liegt bei 2493 Gramm plus Dämpfer (351 Gramm). Und die Steifigkeit wirkt im Gelände noch höher als der Prüfstandswert. Der Rahmen, insbesondere die Hinterbauanbindung, fühlt sich sehr fest an. Trotz 30 Prozent Sag arbeitet das Heck sportlich straff, gibt Feedback vom Untergrund und bietet ausreichend Reserven, wenn es hart auf hart kommt. Es gibt definitiv komfortablere Fahrwerke, dafür versumpft man nie im Federweg, kann aktiv abspringen und das Bike sehr agil bewegen. Auf dem Trail fällt zudem positiv auf, dass das Bike absolut kein Geräusch von sich gibt. Kein Klappern, kein Schlagen, einfach nur angenehme Ruhe. In Verbindung mit den 29er-Laufrädern fällt das Tretlager relativ hoch aus, was dem Kompromiss der 27,5+Austauschlaufräder geschuldet ist. Auf der anderen Seite aber bewahrt man sich eine gute Pedalierbarkeit über Hindernisse im verblockten Gelände. Bergauf geht es gut vorwärts und hängt solide am Gas, was mit schnelleren/leichteren Reifen als den montierten Onzas noch ausgeprägter wäre. Das Test-Bike kam in der Ausstattungsvariante Sick Day, die steht fürs All-Mountain-Setup. Wer es sportlicher mag, wählt die Version Race Day mit 29x2,25er-Reifen und einer 32er-DT-Swiss-Gabel mit 130 mm Federweg. Und genau deshalb gefällt uns das Bold-Konzept – weil es viele Möglichkeiten eröffnet. Man könnte auf eine 150er-Gabel aufrüsten, vorne zwecks mehr Grip ein Plus-Laufrad fahren und hinten ein schnell rollendes 29er. Geometrie und Konzept geben das her. Wir werden es ausprobieren …
PLUS Innovatives, sehr durchdachtes Konzept, sehr steifer Rahmen, clevere Details
MINUS 29er-Reifen schwer, Sitzwinkel flacht bei langem Stützenauszug ab