11 All Mountain Fullys um 3000 Euro im Vergleichstest

BIKE Magazin

 · 20.12.2016

11 All Mountain Fullys um 3000 Euro im VergleichstestFoto: Wolfgang Watzke
11 All Mountain Fullys um 3000 Euro im Vergleichstest

Verlässlich auf Kurs bergab: Ein modernes All Mountain kommt da gerade recht. Wir haben elf Fullys um 3000 Euro gecheckt: Sie sind Touren-­tauglich, tempofest bergab und durchdacht ausgestattet.

Eine Bike-Tour ist eine Reise durch Zeit und Raum, je länger sie dauert und je weiter weg sie vom Alltag führt, desto schöner wird sie. Wer in diese zwei Komponenten noch eine dritte integriert, nämlich die des fahrtechnischen Anspruchs, landet auf der Suche nach einem passenden Transportmittel schnell beim All Mountain.

All Mountain – der Name sagt schon alles. Nicht "Big Mountain", nicht "Flat Mountain", nicht "Only one Mountain" – ALLE Berge sollen Bikes dieser Kategorie bezwingen können. Ob hoch oder niedrig, ob bewaldet oder felsig. Bergauf wie bergab. Wir haben elf Testkandidaten mit 27,5 Zoll großen Laufrädern eingeladen, uns zu zeigen, ob sie diesem Anspruch gerecht werden. Die Preisspanne reicht von 2999 bis 3599 Euro, dafür gibt es in der Saison 2016 vorwiegend Alu-Modelle (Ausnahme: Giant und Radon mit Carbon-Rahmen) mit Federwegen von 140 bis 160 Millimetern und zumeist modernen 22-Gang-Schaltungen.


Diese All Mountain Fullys finden Sie im Test:

• Bergamont Trailster 8.0
• Canyon Spectral AL 8.0
• Cube Stereo 140 HPA SL 27,5 (BIKE-TIPP: Fachhandel)
• Ghost SL AMR X7
• Giant Trance Advanced 2
• Kreidler Straight 2.0
• Orbea Occam Am H10
• Radon Slide 140 Carbon 8.0 (BIKE-TIPP: Versender)
• Specialized Stumpjumper 650 Comp
• Stevens Whaka ES
• Votec VM Elite (BIKE-TIPP: Preis/Leistung)

Bergamont Trailster 8.0
Foto: Daniel Simon

Manch einer wird fragen, aus welchem Grund soll ich gerade jetzt so viel Geld in ein neues Bike investieren? Was können diese Bikes besser als zuvor? Machen etwa zwei Gänge mehr einen so großen Unterschied? Klare Antwort: natürlich nicht. Wir wissen, dass tausende Biker glücklich sind mit ihren 26-Zoll-Fullys, Dreifach-Kurbeln und mit weniger Federweg als der, um den es sich in dieser Testgruppe dreht. Es gibt aber auch genug Biker, die sich über eine Kaufberatung freuen, weil sie just im Moment eine konkrete Kaufabsicht haben. Aber auch für alle anderen lohnt es sich, diesen Test zu lesen, weil wir einige interessante Infos für den Stammtisch gesammelt haben. Los geht’s:
Beim aktuellen Jahrgang entsteht zuallererst mal der Eindruck, All Mountains sind ausgereift. Und die Laufradgröße 27,5 Zoll hat sich voll etabliert. Klar, diese Bikes sind relativ schwer, dafür leisten sie aber auch mehr als früher. Teleskopsattelstützen, stabile Rahmenkonstruktionen, steifere Gabeln und Laufräder hinterlassen an der Waage ihre Spuren.

Und dennoch verändert sich die Kategorie All Mountain in kleinen Schritten. Bestes Beispiel sind aktuell die Felgenbreiten. Hätte man Innenweiten von 22,5 Millimetern bis vor Kurzem noch als breit eingestuft, wölben sich heute bei einigen Bikes 2,35 oder 2,4 Zoll breite Reifen über Felgen mit Innenmaßen von 25, 27 oder gar 30 Millimetern (Canyon). Auf den ersten Blick könnte man meinen, das Canyon Spectral gehöre in die Plus-Kategorie, so fett wirken dessen Räder. Je nach Fahrergewicht sind die Vorteile eines sich breiter abstützenden Reifens aber mehr oder weniger spürbar. Leichte Fahrer bis etwa 75 Kilo, die mit geringem Luftdruck (1,3–1,5 bar) fahren können, profitieren davon mehr als schwere, die zwecks Durchschlagschutz deutlich mehr Druck fahren müssen.

  Moderne Geometrien haben absenkbare Gabeln verzichtbar gemacht. Die findet man nur noch am Ghost. Bergauf gehört das Bergamont zu den Besten. Foto: Wolfgang Watzke
Moderne Geometrien haben absenkbare Gabeln verzichtbar gemacht. Die findet man nur noch am Ghost. Bergauf gehört das Bergamont zu den Besten. 

Ein weiterer Trend sind kurze Vorbauten. 50 bis 60 Millimeter gilt beim Produkt-Management scheinbar als aktuell angemessen, Biker mit sportlichem Anspruch (bergauf) dürfen hier aber ruhig zu 70–80 Millimetern greifen. Im BIKE-Testteam gibt es unterschiedliche Haltungen dazu. Wichtig ist aber allen unseren Fahrern, dass das Cockpit nicht zu hoch baut, weil man dann bergab nicht ausreichend Last aufs Vorderrad bringt. Wer Ski fährt, kennt das Phänomen: Die Schwungeinleitung geschieht über die Skispitzen, in Rücklage verliert man die Kontrolle. Übertragen auf unseren Sport heißt das: Der Druck auf dem Vorderrad kombiniert mit dem Lenkeinschlag steuert das Bike.
Jetzt liegt es am Reifen, wie gut er den Befehl umsetzt. Das leitet über zum nächsten Punkt: Viele Produkt-Manager setzen vorne auf griffige und hinten auf schnell rollende Gummimischungen. Schwalbe nennt sie entsprechend Trail Star und Pace Star. Aber lassen Sie sich von den Reifenflüsterern nicht verunsichern. Die Enduro-Racer aus unserem Testteam spüren freilich jeden einzelnen Stollen und jedes PSI Luftdruckunterschied. Durchschnittliche Biker stoßen davor auf ganz andere Pro­bleme. Bei ihnen hängt die Fahrbarkeit einer Schlüsselstelle – Hand aufs Herz – doch eher vom Selbstvertrauen und Fahrkönnen ab. Auch den zweiten Satz grob­stolliger Pneus, die Radon seinem Slide 8.0 gratis mit auf die Reise zum Kunden gibt (siehe Testbrief), benötigt man ehrlich gesagt nur dort, wo es richtig rumpelt.

Für unsere klassische Gardasee-Testrunde sind die serienmäßig montierten 2,25 Zoll schmalen Leichtbaureifen zwar ungeeignet, für Mittelgebirgs-Trails hingegen passen sie perfekt. Nichtsdestotrotz finden wir die Idee von Radon-Boss Chris Stahl schlau – für den Käufer ist der zusätzliche Gratis-Satz ein Geschenk, das man gerne annimmt.
Eingangs haben wir über die Zahl der Gänge gesprochen. Es gibt in dieser Testgruppe 11, 20 oder 22. Wir meinen, die 22 Gänge der Shimano XT sind aktuell die Messlatte. Die Schaltung überzeugt mit ihrer großen Bandbreite, die kleine Abstufung an der Kurbel (36/26 Zähne) macht Sinn, und mit der Multi-Release-Funktion im rechten Schalthebel (nur bei XT und XTR) kann man die Gänge im Doppelpack wechseln.

  Auf dem Foto liegt Ghost vor Specialized, auf der Testrunde hängen die Amis die Oberpfälzer ab.Foto: Wolfgang Watzke
Auf dem Foto liegt Ghost vor Specialized, auf der Testrunde hängen die Amis die Oberpfälzer ab.

Bei so viel Lob für Shimano gibt es aber auch Tadel. Problemkind in diesem Test war – einmal mehr in dieser Saison – die neue Shimano-XT-Bremse*. Bei allen mit ihr ausgerüsteten Bikes zeigte die Bremse Druckpunktwandern, so nennt man das Phänomen, wenn der Hebel beim Bremsen vom oder zum Lenker wandert. Eine punktgenaue Dosierung wird dadurch unmöglich, darüber hinaus lenkt Druckpunktwandern die Konzentration vom Trail ab. Weil sich die Japaner zum Problem nicht abschließend äußern, haben wir die XT-Bremse in der Punktetabelle um drei Punkte abgewertet. Momentan ist unklar, ob sich dieses Problem beheben lässt oder nur frühe Produktions-Chargen betrifft. Sehr ärgerlich ist es für den Kunden allemal. Bei Versender-Bikes noch mal mehr, weil sich die Abwicklung eines Problems – und sei es nur ein simples Entlüften der Bremse – aufwändiger gestaltet als beim Fachhändler. Um das klarzustellen: Ohne gezählt zu haben behaupten wir, dass die Bremsen von 90 Prozent aller mit Shimano XT ausgerüsteten Test-Bikes des Jahrgangs 2016 problematisch waren. In der Endabrechnung des Punktesystems und der Bewertung leiden Bergamont, Canyon, Ghost, Stevens und Votec unter dem Punktabzug.

  – XT-Bremse: Das Druckpunktwandern zeigen fast alle XT-Bremsen aus 2016. Eine Lösung ist nicht in Sicht, deshalb gibt es in der Bewertung dafür drei Punkte Abzug.Foto: Georg Grieshaber
– XT-Bremse: Das Druckpunktwandern zeigen fast alle XT-Bremsen aus 2016. Eine Lösung ist nicht in Sicht, deshalb gibt es in der Bewertung dafür drei Punkte Abzug.


TEST-FAZIT: All Mountains entsprechen ihrer Bezeichnung voll und ganz. Abgesehen vom Gewicht überzeugt der Jahrgang 2016 mit verlässlichen Fahreigenschaften, solider Ausstattung und Fahrspaß. Aus den elf Testrädern kristallisieren sich klare Favoriten heraus. Geringes Gewicht, Carbon-Rahmen und stimmige Ausstattung küren das Radon zum Testsieger. Knapp dahinter rangieren Votec, Canyon und Cube. Den größten Spaß bergab hatten wir übrigens mit dem Specialized Stumpjumper – trotz seines schwachen Ausstattungsniveaus.

  Einstellarbeiten gehören zum Testalltag. Foto: Wolfgang Watzke
Einstellarbeiten gehören zum Testalltag. 

* Die Aussage zur Shimano-XT-Bremse bezieht sich auf die Testbikes aus BIKE 5/16. Im Modelljahr 2017 konnten wir bislang keine Probleme durch Druckpunktwandern feststellen.


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Gebraucht statt neu: Die bessere Wahl?

Ist es eine gute Idee, statt 3000 Euro für ein neues Bike die gleiche Summe für ein ehemals viel teureres gebrauchtes auszugeben? Unser Test mit einem 2015er-Trek-Remedy gibt eine Antwort darauf.


Wo kriegt man für 3000 Euro mehr Bike für sein Geld?
Im Bikeshop oder Second-Hand?
Wir haben den Gebrauchtmarkt nach Top-Modellen der jüngeren Vergangenheit durchkämmt. Ergebnis: Für rund 3000 Euro wechseln unsere Wunschkandidaten wie Cannondale Jekyll 1 oder Stumpjumper FSR Carbon nicht den Besitzer. Das Trek Remedy 9 (4199 Euro) hingegen wird nun für 2800 Euro gehandelt. Wir mogelten das Gebraucht-Bike ins Testfeld um zu sehen, wie es sich schlägt. Erster Pluspunkt: Das Bike ist vom Vorbesitzer bereits gut eingestellt und auf Tubeless umgebaut. Im Anstieg der Testrunde spürt man keinen Unterschied. Ähnliches Gewicht, genauso gutmütig bergauf. Handling und Geometrie sind up-to-date. Im ruppigen Trail bergab hängt das 2015er-Remedy die neuen Bikes aber nicht ab. Grund dafür: Die Gabel ist trocken, und auch der Dämpfer braucht dringend einen Service. 250 Euro muss man für den Service des kompletten Fahrwerks sicherlich einplanen. Auch der Hinterreifen ist verschlissen. In diesem Fall machen die ausstehenden Reparaturen das gebrauchte Objekt unterm Strich genauso teuer wie ein neues. Schlau wäre allerdings, sich nach einem neuen 2015er-Auslaufmodell umzusehen.

  Das Trek Remedy 9 aus 2015 kostet gebraucht unter 3000 Euro. Ist es die bessere Wahl als ein neues 2016er-Bike?Foto: BIKE Magazin
Das Trek Remedy 9 aus 2015 kostet gebraucht unter 3000 Euro. Ist es die bessere Wahl als ein neues 2016er-Bike?
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