Stephan Ottmar
· 10.08.2017
Bei E-MTBs gibt es kaum Argumente, die gegen ein Fully sprechen. Doch der hohe Preis grenzt die Zielgruppe ein. Wir wollten wissen, ob auch gut und günstig geht. Sechs erschwingliche Bikes im Test.
Seit Jahrzehnten füllt die Grundsatzdebatte ganze Stammtischabende: Fully oder Hardtail – was ist schneller? Selbst unter Rennfahrern ist die Frage auch 30 Jahre nach der Geburtsstunde der Hinterbaufederung noch nicht ausdiskutiert. Denn bei allen funktionalen Vorteilen des vollgefederten Bikes gibt es ein Kriterium, bei dem das Hardtail immer die Nase vorne haben wird: das Gewicht. Und beim E-Mountainbike? Da spielt das Gewicht eine untergeordnete Rolle, wie wir alle wissen. Denn das eine oder andere Kilo mehr wird durch die Leistung des Motors relativiert. Trotzdem werden deutlich mehr E-Hardtails als E-Fullys verkauft. Warum? In günstigen Preisbereichen sind vollgefederte E-MTBs eine rare Spezies – bei vielen Herstellern geht der Spaß erst ab 4000 Euro oder später los. Das schränkt die Zielgruppe gewaltig ein.
Diese E-Fullys um 3500 Euro haben wir getestet:
Dennoch lassen sich einige Modelle aus dem Markt herausangeln, die man als preisgünstig bezeichnen könnte. Für unsere Testgruppe haben wir einen engen Radius um 3500 Euro gezogen. Aber so viel war von Anfang an klar: Um überhaupt ein relevantes Testfeld zusammenpuzzeln zu können, durften wir nicht allzu wählerisch sein: Einsatzbereich? Egal. Federweg? Beliebig? Laufradgröße? Wir nehmen alles. Viele Hersteller mussten dennoch passen, sie schafften es nicht, uns ein Serien-Fully nach diesen Vorgaben zu liefern. Sechs Marken gelang es doch, darunter die guten alten Bekannten Cube, Haibike, KTM und Merida. Als Neuling dabei: die ungarische Marke Gepida mit ihrem Modell Asgard. Und als einziger Direktversender: Radon mit seinem Modell Slide. Klar ist: Bei rund 3500 Euro müssen die Hersteller mit spitzer Feder rechnen. Wo aber wird gespart?
Sparpotenzial 1: Der Antrieb
Motor und Akku sind die teuersten Teile am E-Mountainbike. Klar, dass hier am meisten Sparpotenzial schlummert – doch welchen Kompromiss muss der Kunde dafür in Kauf nehmen? Merida verbaut den bewährten Shimano-Steps-E6000-Antrieb. Diesen geben die Japaner, im Gegensatz zum neuen und kräftigeren Steps E8000, nur für einen gemäßigten Mountainbike-Einsatz frei. Eine Definition, was das genau bedeutet, bleibt Shimano schuldig. Auffälligste Unterschiede: Das günstigere Aggregat unterstützt schwächer, und die Bedienung ist nicht ganz so komfortabel wie beim teureren Nachfolger. Haibike setzt auf den Yamaha-PW-Antrieb, der nur bei geringer Kurbeldrehzahl stark unterstützt. Das Gepida setzt die günstigere und schwächere Cruise-Version des Boschs ein – ähnlich wie beim Merida spürt man den Unterschied erst, wenn es steil wird. An den übrigen Bikes sind keine Kompromisse in Sachen Motor zu finden: Cube, KTM und Radon vertrauen auf den kräftigen Bosch Performance CX. Sieger in der Disziplin Reichhöhe ist das Haibike – es lief bis auf eine Höhe von 1538 Metern. Cube schaffte im Vergleich eine recht geringe Höhe – wir vermuten einen Fehler beim Akku. Denn im vergangenen Test schaffte es eine teurere, aber ebenfalls mit dem Bosch Performance CX ausgestattete Version des Stereos auf über 1400 Höhenmeter. Die schwächere Cruise-Version des Bosch-Antriebs im Gepida erzielte trotz des kleinen 400-Wattstunden-Akkus ordentliche 1200 Höhenmeter. Wichtig zu wissen: Wir testen die Bikes immer auf der größten Unterstützungsstufe. Das Xduro fährt lediglich mit 13 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit, die Bosch-Systeme liegen um 16 km/h. Würde man die Unterstützung reduzieren, käme man auf ähnliche Werte. Daher liegen die Antriebe bei der Effizienz auf sehr ähnlichem Niveau.
Sparpotenzial 2:
Unterschiede zeigen sich freilich auch in der Qualität der Anbauteile – auch hier steckt für die Hersteller die Möglichkeit, an der Preisschraube zu drehen. Haibike und besonders Radon statten ihre Bikes üppig aus, von Plus-Bereifung bis hin zur Teleskopsattelstütze mit Lenkerfernbedienung – da bleiben beim Kunden nur wenige Wünsche offen. Den Rotstift setzen einige Hersteller bei den Bremsen an: etwa durch gruppenlose Shimano-Stopper an Gepida, KTM und Merida. Kleinere Scheiben als 180 Millimeter verbaut zum Glück kein Hersteller. Bei den Laufrädern lassen sich ebenfalls ein paar Euro rausmelken, ohne dass der Kunde dadurch auf spürbare Performance verzichten muss. Allerdings zeigt sich die Güte der Laufräder oft erst im Dauereinsatz. Aus den Vollen schöpft hier mal wieder Radon: Ein kompletter Satz Sun-Ringlé-Systemlaufräder kann sich in dieser Preisklasse sehen lassen. Die Schaltkomponenten liegen durch die Bank auf vertretbarem Niveau. An allen Bikes wechselt Shimano die Gänge. Cube, KTM und Radon setzen auf SLX, die übrigen nutzen die günstigere Deore-Schaltgruppe.
Über die Anbauteile lässt sich zwar an der Preisschraube drehen, über den Charakter eines Bikes sagt die Ausstattung aber nur wenig aus – hier geben die Geometrie und das Fahrwerk den Ton an. Auf den ersten Blick stechen zwei unterschiedliche Ansätze ins Auge: Gepida, KTM und Merida bauen ihre Bikes als klassische Tourer: kurze Federwege, schmalere Reifen und Wohlfühlgeometrie deuten nicht auf einen allzu sportlichen Geländeeinsatz hin. Cube, Haibike und Radon schickten potente E-MTB-Boliden, deren Fahrwerke auch für derbes alpines Geläuf gerüstet sind. Das Haibike kommt mit einer aufrechten, sehr entspannten Sitzposition daher und unterscheidet sich damit deutlich von Radon und Cube. Auf diesen beiden sitzt man sportlicher und etwas besser ins Bike integriert. Während das Radon mit extrem langen Kettenstreben und Radstand plus flachem Lenkwinkel sehr auf Geradeauslauf getrimmt ist, bleibt das Cube agiler.
Fazit von Dipl.-Ing. Stephan Ottmar: Günstiger sind vollgefederte E-Moutainbikes kaum zu bekommen: Um 3500 Euro darf man bereits ein E-Fully erwarten, das den Ausritt ins Gelände bereitwillig mitmacht. Je nach Hersteller geht man Kompromisse eher bei etwas schwächeren Motorver-sionen oder bei den Anbauteilen ein. Über die Eignung für den sportlichen Trail-Einsatz entscheiden aber viel mehr die Rahmen-geometrie und das Fahrwerk – und hier zeigt sich in unserem kleinen Testfeld mit sechs Modellen eine große Bandbreite.
DIE DETAILS DER TESTBIKES
Der Teufel steckt im Detail. Aber auch freudige Überraschungen erkennt man oft erst beim genauen Hinsehen.