Henri Lesewitz
· 09.08.2016
Nach einem Rennen im Himalaya warf unser Reporter Henri Lesewitz ein Blatt Papier in den Müll. Jetzt hat er ein neues Custom-Bike ohne Gangschaltung. Ein Fotoreport.
Willst Du Stress, dann baue Dir ein Custom-Bike auf. Das ist der Kern dessen, was mich meine Fahrrad-Leidenschaft gelehrt hat. Keine Ahnung, wie viele Räder ich mir im Laufe der Jahrzehnte schon selbst aufgebaut habe. Stopp, halt! Doch, doch! Natürlich weiß ich es: Nahezu alle, die ich je gefahren bin. Ein Fahrrad ist mir etwas viel zu persönliches, als dass ich dessen Antlitz und Charakter den Launen eines Fließband-Fertigers überlassen würde. Die finstere Seite des Selbstaufbauens hatte ich da stets mit einem Lächeln ertragen: Unklare Lieferzeiten, Kompatibilitäts-Generve, bedenklich dahin schmelzender Kontostand. Ein Stress, den zu vermeiden ich mir schon so oft geschworen habe. Mit mäßigem Erfolg. Dass ich nun wieder in den Strudel eines Custom-Projekts hineingesogen wurde, verdankte ich diesmal dem Himalaya, meinem Mülleimer und dem Übersetzungsprogramm Google Translate. Aber der Reihe nach.
Im Juli 2015 weilte ich in der indischen Provinz Ladakh, um über den neuesten Schocker der Marathon-Szene zu berichten – über das Sky is the Limit, das höchste Mountainbike-Rennen der Welt. Sechs Tage durch den Himalaja. Überquerung von drei 5000ern sowie einem Fast-5000er. Als Krönung das irrwitzige Finale in Form eines 55 Kilometer langen Bergzeitfahrens – hinauf auf den legendären 5602 Meter hohen Khardung La, den die Rekordbücher als höchsten befahrbaren Pass der Welt bejubeln. Wie immer fuhr ich als Rennteilnehmer mit. Mittendrin statt nur dabei. Für mich stets Ehrensache, denn man muss das Thema mit allen Sinnen aufsaugen, um authentisch drüber berichten zu können. Die sportlichen Ambitionen hielten sich von Anfang an in Grenzen. Der Veranstaltungsfotograf war bereits im Ankunftsort höhenkrank geworden (dem tiefsten Punkt der ganzen Veranstaltung übrigens!) und siechte in einem Zwischenstadium von tod und lebendig in seinem Hotelzimmer vor sich hin. Ich musste also auch noch nebenbei fotografieren. Dabei ging es auch mir ziemlich mies. Die Höhe zermürbt jeden, der sich zu lange in ihr aufhält. Zum Biken in dünner Luft, so viel kann ich aus mehrmaliger Erfahrung sagen, ist der menschliche Körper nicht gemacht. Ab 3500 Metern ist die Regeneratiosfähigkeit ausgeknipst. Das Herz rast hysterisch. Die Lungen pumpen. Dennoch werden die Zellen nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt. Und das bereits im Liegen, ohne jegliches Bewegen. Unter solchen Bedingungen zu Biken ist wie eine Nahtoderfahrung. Ich hatte noch nie so höllische Kopfschmerzen gehabt und so ein fieses, ekliges Gefühl von Schwäche. Aber wenn man schon mal solche Prachtberge vor die Reifen bekommt, dann sollte man nicht rumheulen, sondern die Kette straff machen.
Der italienische Langstreckenspezialist Marzio Deho fuhr wie von einem anderen Stern, auch Ex-Worldcup-Profi Thomas Dietsch schien die Höhe nicht viel auszumachen. Die anderen litten wie Hunde. Als ich dann bei der Abschluss-Siegerehrung nach vorn gerufen wurde, wusste ich zunächst nicht wieso. Ich war Gesamt-Zweiter in der Kategorie Masters 1 geworden. Mir doch egal, dachte ich und knüllte den Zettel, den mir Organisator Gianni Tomé zugesteckt hatte, in die Hosentasche. Beim Auspacken daheim hatte ich den Zettel längst schon wieder vergessen. Als ich den Restmüll aus meiner Reisetasche schüttelte, fiel er mir wieder in die Hände. "Coupon valido per ritiro Telaio Bressanbike", stand darauf geschrieben. Häh? Egal, weg damit in den Müll. Minuten später durchfuhr mich ein seltsames Gefühl. Als würde der Zettel nach mir rufen. Ja wirklich! Und tatsächlich! Als ich ihn wieder rausgefischt hatte und die italienischen Worte mit Google Translate übersetzt hatte, sackte mir vor Freude kurz der Kreislauf ab: Es war ein Gutschein für einen Rahmen der Custom-Manufaktur Bressan aus Verona. Nee, oder?!
Es ist nicht so, dass ich dringenden Bedarf für ein neues Bike gehabt hätte. Ich bin gut aufgestellt, wie "Modern Performer" sagen würden. Allerdings: Was für eine wunderbare Gelegenheit, den Fuhrpark noch etwas feiner nach Facetten abzustufen! Zwischen mein Independet Fabrication Steel Deluxe (26 Zoll Stahl-Hardtail) und mein Kona Explosif (26 Zoll Stahl-Singlespeed, starr) würde doch noch wunderbar ein Singlespeed aus Stahl der Größe 650b passen! Mit Federgabel und Antriebsriemen. Ein robustes, stressfreies Jedentag-Bike ohne Schickschnack, das die Reflexe stets wach hält, ohne sie aber so heftig in permanente Aufregung zu versetzen, wie mein unbarmherziges, ungefedertes Kona. So ein Bike war überfällig, oder etwa nicht?! Dochdochdoch! Ich hatte keinen Schimmer, was es mit dieser Firma Bressan auf sich hat. Doch wenn einer wie ich einen Gutschein dieser Art in die Hände bekommt, dann gibt es kein Zurück. Ich beschloss die Sache durchzuziehen, wie die Höhenmeter-Orgie in Ladakh. Aber seht selbst!