350 Millionen Fotos täglich! Alleine auf Facebook. Dazu 80 Millionen auf Instagram. Die digitale Fotografie sorgt für eine enorme Bilderflut. Auch bei Events wie der deutschen Meisterschaft im Cross Country wird geknipst wie verrückt. Ob Fahrer, Trainer, Streckenposten, Team-Kollege oder Betreuer: Nahezu jeder fotografiert mit dem Smartphone. Dazu kommen die Eventfotografen, die dank Serien-Modus und leistungsfähiger Speicherkarten Tausende Motive produzieren. Auch Reporter Henri Lesewitz schätzt die Freiheit und die Möglichkeiten digitaler Fotografie. Doch für die Titelkämpfe im Obergessertshausen hatte er sich eine ganz besondere Challenge vorgenommen. Mit einer analogen Mittelformat-Kamera wollte er die DM in exakt zehn Bildern einfangen. Die Mamiya RB67 war Mitte der Siebziger neben der Hasselblad 500 das Profiwerkzeug für Studio- und Mode-Fotografen. Mit einem Film können zehn Motive belichtet werden. Was einen besonderen Reiz ausmacht, wenn man gewohnt ist, mit einer Digital-Kamera quasi beliebig viele Fotos machen zu können.

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„Als ich mit dem riesigen, fünf Kilo schweren Teil samt Stativ an der Strecke herumlief, wurde ich immer wieder von Leuten gefragt, ob sie jetzt ins Fernsehen kämen“, grinst Henri. Das Projekt war für ihn rein privater Natur. Dennoch wollen wir Euch die Fotos nicht vorenthalten, die der alten Reporter-Tradition nach im klassischen Schwarz-Weiß-Stil aufgenommen wurden. Unter den Fotos gibt's Henris Beschreibungen zu den einzelnen Motiven.
DM 2020 in Schwarz-Weiß-Bildern

Henri Lesewitz "Der Start/Ziel-Bereich ist eigentlich ein Feld, das im Familienbesitz von Titel-Aspirant Georg Egger ist. Mit Pflöcken, Flatterband und Absperrgittern war der Bereich in einen perfekt einzusehenden Schlängelkurs verwandelt worden. Ein Traum für Zuschauer. Normalerweise. Der komplett menschenleere Bereich symbolisiert den Geistercharakter der diesjährigen Meisterschaft. Wegen harter Corona-Auflagen waren keine Zuschauer zugelassen."

Henri Lesewitz "Plötzlicher, hartnäckiger Regen hatte die Strecke in eine Art Schweineacker verwandelt. Teilweise glichen die Rennen eher Tough-Guy-Läufen. Was dem Ehrgeiz der Rennfahrer keinen Abbruch tat. Dieses Foto ist ein Symbol für die Hartnäckigkeit, mit der den widrigen Rahmenbedingungen getrotzt wurde. Weder Veranstalter noch Fahrer wollten sich in die Knie zwingen lassen. Nicht von der Corona-Krise. Nicht vom Mistwetter."

Henri Lesewitz "Die erste Abfahrt war eine Schlüsselstelle, die in manchen Klassen über Sieg und Niederlage entschied. Die glitschige Abfahrt führt schnurstracks auf einen 180-Grad-Anlieger zu, der die Fahrer in einen steilen Anstieg katapultierte. Wer hier keine saubere Linie traf, wurde durchgereicht. Das Bild hat für mich aber auch eine andere Aussage. Egal, wie mies die Bedingungen sind: Nach jedem Bergab, geht es auch wieder bergauf."

Henri Lesewitz "Die Wurzelabfahrten im tatsächlich so genannten Egger-Wald waren kreuzgefährlich. Die Matte hängt nicht umsonst am Baum. Der verwischte Fahrer zeigt, mit welchem Tempo selbst Passagen wie diese genommen wurden. Wer deutscher Meister werden will, darf nicht den Chicken Way nehmen."

Henri Lesewitz "Bei zehn Auslösungen, die man während des Tages machen darf, muss man genau überlegen, was man in den Fokus nimmt. Herbert Egger, der Papa von Elite-Fahrer Georg Egger, war mir definitiv ein Bild wert. Er hatte die MTB-Leidenschaft seiner Söhne vor zehn Jahren unter anderem damit angefacht, indem er jene Cross-Country-Rennstrecke in den Familienwald gebaut hat, auf der an diesem Wochenende die deutsche Meisterschaft ausgefahren wurde. Herbert war bei der WM für den Bereich 'Facility' zuständig, wie er es nannte – also für die Infrastruktur. Klar, es war ja auch sein Grundstück. Mit Traktor zerrte Herbert lässig die Team-Fahrzeuge ins Fahrerlager, wo sie wegen des völlig aufgeweichten Zufahrtsweges niemals von alleine hingekommen wären. Herbert war die gute Seele dieser Meisterschaft."

Henri Lesewitz "Nicht nur die Fahrer, auch das Material litten extrem. Das Stillleben zeigt das komplett mit Schlammkruste bedeckte Bike und die völlig versifften Schuhe von U23-Sieger David List."

Henri Lesewitz "Elisabeth Brandau fuhr einen unangefochtenen Sieg in der Elite-Klasse der Damen ein. Doch statt in Siegespose im Zielbereich herum zu hüpfen, saß sie gezeichnet vom Rennen minutenlang an ein Absperrgitter gelehnt da. Ihr Gesicht verrät Erleichterung und Freude, aber auch ein Stück Fassungslosigkeit über die unfassbaren Strapazen, die sie gerade durchlitten hat."

Henri Lesewitz "Georg Egger zählt zu den besten Elite-Fahrern in Deutschland, doch er hatte eine miese Saison. Weil er im Familienwald jede Wurzel kennt und hoch motiviert war, stand er auf der Liste der Titelfavoriten weit oben. Doch schon die vermurkste Startphase ließ seinen großen Traum platzen. Während Team-Kollege und Titelverteidiger Maximilian Brandl als Führender das Steilstück zum Egger-Wald hochknetet, kämpft Egger (Mitte, Startnummer 3) auf der Abfahrt gegen das Durchreichen. Am Ende wird er Neunter. Offenbar war er nach dem Infekt, wegen dem er in der Woche zuvor auf die EM-Teilnahme verzichtet hat, noch nicht wieder voll bei Kräften. Wer genau hinschaut, kann die Enttäuschung in Eggers Gesicht erkennen, der in diesem Moment genau weiß, dass seine Medaillen-Chancen gegen Null tendieren. Es war großes Glück, dass gerade eine Lücke in der Fahrerschlange gerissen war, die freie Sicht auf diesen Moment ermöglichte."

Henri Lesewitz "Die Abfahrt mit der Matte hatte ich bereits aus einer anderen Perspektive fotografiert. Nachdem hier aber schon viele Fahrer eingeschlagen waren, war mir die Matte selbst noch ein eigenes Porträt wert. Weil sie für das Gute und das Schlechte gleichermaßen steht. Sie war der Schutzengel für viele Rennfahrer und bewahrte einige vor Knochenbrüchen. Andererseits beendete sie auch einige Medaillenträume. Es war klar, dass sie auch im Rennen der Elite-Herren eine wichtige Rolle spielen würde. Und so war es auch: Nach einem Sturz in genau dieser Abfahrt verlor Titelverteidiger Maximilian Brandl den Anschluss zu Marcel Meisen, seines Zeichens amtierender deutscher Meister auf der Straße und im Querfeldein. Als sich Manuel Fumic in der vorletzten Runde auf Platz zwei vorgearbeitet hatte und mit der Möglichkeit auf den Titel vor Augen alles riskierte, schlug auch er in der Matte ein, sodass der spätere Sieger Maximilian Brandl joggend an ihm vorbei ziehen konnte."

Henri Lesewitz "Dieses Foto ist handwerklich nicht 100-prozentig, weil etwas unscharf. Dafür aber symbolisiert es für mich das Überthema der diesjährigen deutschen Meisterschaft. Das Rennen war nämlich auch ein Kampf der Generationen. Die jungen Aufsteiger wie Maximilian Brandl gegen die Ikone des deutschen Cross-Country-Sports, Manuel Fumic. Der Blick von Fumic, der hinter Meisen Dritter wurde, macht trotz Maske klar, dass er sich definitiv nicht damit abfinden wird, das Zepter kampflos aus der Hand zu geben. Um bei Olympia auf dem Podest zu stehen, hat er sein für dieses Jahr geplantes Karriereende um ein Jahr verschoben. Maximilian Brandl vs. Manuel Fumic – es wird spannend bleiben."
Deutsche MTB-Meisterschaft 2020 Cross Country