Das Problem: 12fach-Antriebe sind für Volllast am E-MTB nicht wirklich ausgelegt
Reißende Ketten, ausbrechende Zähne. Unser großer Verschleißtest war ein einziges Armutszeugnis. Sieben Zwölffach-Antriebe von Sram und Shimano hatten wir zum Vergleich geladen und malträtierten sie auf dem Prüfstand mit E-MTB-typischen Spitzenleistungen von bis zu 800 Watt und 110 Newtonmetern. Speziell die günstigen Sram-Gruppen konnten dabei nicht überzeugen, doch auch die besseren Antriebe strichen nahezu ausnahmslos vor der 400-Kilometer-Marke die Segel. Die Schilderungen vieler EMTB-Leser bestätigen die ernüchternden Ergebnisse unseres Labortests. Klar ist damit: Auch die besten Antriebe sind für Volllast am E-MTB nicht wirklich ausgelegt.
Tipps & Tricks: Verschleiß am E-Bike minimieren
Richtig schalten
Speziell beim E-MTB spielt wegen der hohen Leistung die maßvolle Nutzung der Power in der Praxis eine große Rolle. Absolutes No-Go: Anfahren in schweren Gängen und bei maximaler Unterstützungsstufe. Denn gerade bei niedriger Trittfrequenz reißt der Motor mit brachialem Drehmoment an wenigen Zähnchen. Bei vollem Kettenschräglauf. Besser: Vor dem Anfahren oder Beschleunigen runterschalten. Überhaupt freuen sich Motor und Antriebskomponenten über leichtere Gänge und höhere Trittfrequenzen – bei ruhiger Fahrt, aber ganz besonders beim Beschleunigen. Denn je höher die Trittfrequenz, desto geringer die Last auf der Kette bei gleicher Leistung. Außerdem läuft die Kette dann tendenziell auf Ritzeln mit mehr Zähnen. Das führt zu einer gleichmäßigeren Kraftverteilung und gerade bei schnellerer Fahrt zu weniger Kettenschräglauf. Wer dazu neigt, beim E-MTB das Schalten zu vergessen, kann sich auch mit niedrigeren Unterstützungsstufen behelfen. So bekommt man automatisch ein besseres Gefühl für die Kraft im Antrieb, tritt runder, beschleunigt moderater und schaltet mehr.
Aber Schalten kann auch Gift für den Antrieb sein. Kettenrisse oder beschädigte Kassettenzähne sind oft auf Gangwechsel unter Last zurückzuführen, da sich dabei die Belastung ungünstig im Antrieb verteilt. Tabu ist das Schalten über mehrere Ritzel. Sram verhindert das mit der Single-Click-Technologie, die nur einzelne Klicks am Shifter zulässt. Bei Shimano ist ein achtsamer Pilot mit zurückhaltendem Daumen gefragt. Weiter gilt: vorausschauend fahren. Wer kann, drückt beim Schalten nur leicht aufs Pedal. Zum Beispiel, wenn man vor dem Anfahren das Schalten in einen kleineren Gang vergessen hat. Auch vor dem Einstieg in steile Stiche oder Schlüsselstellen bergauf bietet sich ein Gangwechsel an, solange das Gelände noch flacher ist. Die knackige Passage selbst bewältigt man am besten, ohne zu schalten. Das erleichtert zudem die Balance auf dem Bike. Bei den meisten Kassetten ist übrigens das zweitgrößte Ritzel am stabilsten, kleine Ritzel sind anfälliger für Verschleiß. Biker sollten daher die passende Übersetzung montieren. Wer viel im Flachen fährt, braucht eventuell ein größeres Kettenblatt, um an der 25-km/h-Grenze nicht immer in den kleinsten Ritzeln zu hängen. Wer viel an steilen Anstiegen fährt, braucht ein etwas kleineres Kettenblatt.

Georg Grieshaber Absolutes No-Go: Anfahren in schweren Gängen und bei maximaler Unterstützungsstufe. Denn gerade bei niedriger Trittfrequenz reißt der Motor mit brachialem Drehmoment an wenigen Zähnchen. Bei vollem Kettenschräglauf.

Georg Grieshaber Besser: Vor dem Anfahren oder Beschleunigen runterschalten. Überhaupt freuen sich Motor und Antriebskomponenten über leichtere Gänge und höhere Trittfrequenzen – bei ruhiger Fahrt, aber ganz besonders beim Beschleunigen.
Kette und Kassette regelmäßig reinigen
Nach jeder nennenswerten Ausfahrt mit dem E-Bike sollte die Kette von grobem Schutz befreit und später nachgefettet werden. Dafür reicht ein Lappen, durch den man die Kette laufen lässt. Bei gröberer Verschmutzung steht eine Komplettwäsche des Bikes an. Mit Bürste und Eimer oder Gartenschlauch verhindert man frühzeitigen Verschleiß von Antrieb und Lagern. Ist das E-MTB sauber, kann man es in den Montageständer hängen oder zur Not auf den Kopf stellen (Achtung Armaturen!) und mit einer zweiten Bürste (nur für den Antrieb verwenden) zunächst den groben Dreck aus der Kassette und vom Kettenblatt bürsten. Eine Ölfangmatte schützt die Umwelt.
Bei hartnäckigen Verschmutzungen nicht zur Drahtbürste greifen, sondern lieber eine kleine Menge Entfetter * auf Lappen oder Bürste * geben. So löst sich das Öl-Dreck-Gemisch leichter. Entfetter nur sparsam einsetzen. Kleine Dreckwürste an den Schaltröllchen lassen sich am besten unter Kettenzug mit einem weichen Plastikgegenstand wie einem Reifenheber abdrücken. Die Kette reinigt man, indem man sie von allen Seiten durch Bürste und Lappen zieht. Von speziellen Kettenreinigungsgeräten sollte man zugunsten der Grundschmierung ganz die Finger lassen. Für die Feinarbeit dann den Lappen noch durch die Zwischenräume der Kassette ziehen. Trocknen lassen und speziell beim Einsatz von Entfetter zügig nachschmieren.

Georg Grieshaber Nach jeder nennenswerten Ausfahrt mit dem E-Bike sollte die Kassette...

Georg Grieshaber ... das Schaltwerk und die Kette von grobem Schutz befreit und später nachgeschmiert werden.

Georg Grieshaber Die Kette reinigt man, indem man sie von allen Seiten durch Bürste und Lappen zieht. Von speziellen Kettenreinigungsgeräten sollte man zugunsten der Grundschmierung ganz die Finger lassen.
Check-Liste gegen E-Bike-Verschleiß am Antrieb
- Ein sauberes Bike und ein sauberer Antrieb sind die Grundvoraussetzung für einen geringen Verschleiß der Komponenten. Das gilt für den Antrieb, aber auch für alle Lager und Anbauteile.
- Genügend Schmierung im Antrieb minimiert Reibung und damit Verschleiß. Hier ist das richtige Maß gefragt, denn zu viel Öl zieht Schmutz an und kann damit den Verschleiß beschleunigen.
- Der passende Gang minimiert den Stress, dem die Komponenten ausgesetzt sind. Trittfrequenzen von 80 bis 90 Umdrehungen pro Minute sind ideal. Vor dem Anfahren unbedingt runterschalten.
- Auch über eine möglichst kleine Unterstützungsstufe freut sich der Antrieb. Damit liegt weniger Kraft an, und die Komponenten halten länger durch. Außerdem steigt die Reichweite des Bikes.
- Die passende Übersetzung kann ebenfalls zu einem minimierten Verschleiß beitragen. Wer viel in der Ebene auf den kleinsten Ritzeln pedaliert, braucht ein größeres Kettenblatt. Wer in den Bergen immer die volle Leistung abruft, sollte über ein kleineres Blatt nachdenken.
Fetten & schmieren
Sind Bike und Antrieb sauber und trocken, kann man mit dem Nachfetten beginnen. Speziell, wer Entfetter * oder Kettenreiniger * benutzt hat, sollte damit nicht zu lange warten, sonst setzt schnell Flugrost an. Zum Nachfetten ist beim E-MTB ebenfalls der Montageständer praktisch, damit sich das Hinterrad frei drehen kann. Dann unter langsamem Kurbeln eine kleine Menge Kettenöl * auf die Innenseite der Kette aufbringen. Anders als bei Lagerfett gilt hier: Weniger ist mehr.
Ist die Kette zu stark gefettet, zieht sie zu viel Schmutz an, was frühzeitigen Verschleiß fördert. Lieber sparsam fetten und dafür nach jeder Tour mit Lappen und Kettenöl nacharbeiten. Tendenziell waschen sich zähere Öle nicht so leicht aus und sind für den Winter oder zum Pendeln besser geeignet, dünnflüssigere Öle schmieren besser und ziehen weniger Schmutz an – der Tipp für den Sommer. Nach dem Schmieren die Kurbel noch eine kurze Zeit weiterdrehen, damit sich das Öl gut im Antrieb verteilt. Dann ordentlich einwirken lassen. So hat das Öl genug Zeit, tief zwischen die Kettenglieder zu kriechen, wo die Schmierung besonders wichtig ist. Spätestens vor der nächsten Ausfahrt überschüssiges Fett mit einem Lappen abwischen. Schraubenköpfe freuen sich gerade im Winter ab und zu über etwas Kriechöl gegen den Flugrost, das Innere der Schaltröllchen kann bei langer Nutzung etwas Lagerfett vertragen.

Georg Grieshaber Sind E-Bike und Antrieb sauber und trocken, kann man mit dem Nachschmieren oder Ölen beginnen.

Georg Grieshaber Dann unter langsamem Kurbeln eine kleine Menge Kettenöl auf die Innenseite der Kette aufbringen. Anders als bei Lagerfett gilt hier: Weniger ist mehr.

Georg Grieshaber Ist die Kette zu stark gefettet, zieht sie zu viel Schmutz an, was frühzeitigen Verschleiß fördert. Lieber sparsam fetten und dafür nach jeder Tour mit Lappen und Kettenöl nacharbeiten.
Materialwahl
Hauptsache Stahl? Was für das Kettenblatt in jedem Fall gilt, ist bei der Kassette komplizierter. So waren in unserem Verschleißtest die günstigen Sram-Gruppen NX und GX trotz hohen Stahlanteils besonders früh unbrauchbar, was man auf die schlechtere Härtung des Materials und die Nietenkonstruktion der Kassetten zurückführen kann. Deutlich haltbarer: die Stahlritzel der Deore-Schaltung, die von der Deore XT mit zwei Alu-Ritzeln sogar noch übertroffen wurde. Am besten schnitt die XX1-Schaltung von Sram ab, die wiederum bis auf das kleinste Ritzel aus Stahl gefräst wird. Ein geringes Gewicht und eine hohe Haltbarkeit schließen sich also nicht aus. Bei schmalerem Geldbeutel geht die Empfehlung trotzdem klar an Shimanos Schaltgruppen, auch wegen der Möglichkeit, bei Verschleiß einzelne Ritzel zu tauschen.
Für Profis: Kette wachsen
Zieht kaum Dreck an und schmiert exzellent: Im Labor konnte das Wachs von Silca überzeugen. Nachteil: Bei Nässe bildet sich schnell Flugrost, der Antrieb muss häufig nachbearbeitet und vorher vollständig entfettet werden. Eine Empfehlung nur für technisch versierte Vielfahrer und gutes Wetter.
E-Bike Kette & Kassette: Kontrollieren und rechtzeitig tauschen
Weil die Kassette so viel teurer ist als die Kette, kann man auch durch regelmäßige Kontrolle des Kettenverschleißes hohen Kosten vorbeugen. Die Idee: Tauscht man die Kette rechtzeitig, wird die teure Kassette noch nicht in Mitleidenschaft gezogen. Bleibt die alte Kette zu lange drauf, verschleißen die Ritzel schneller – dann knarzt es beim Treten, oder die Kette rutscht komplett durch. Deswegen regelmäßig mit einer Verschleißlehre oder einem genauen Messschieber den Kettenverschleiß prüfen. Im Neuzustand beträgt der Abstand zwischen zehn Kettenröllchen 119,5 Millimeter, spätestens bei 120,5 Millimetern sollte man die Kette tauschen. Das kann beim E-MTB – je nach Art der Beanspruchung – schon nach einigen hundert Kilometern der Fall sein.
Den Verschleiß von Kettenblatt und Ritzel checkt man, indem man nach dem Putzen die Zähne befühlt: Haben sich Grate gebildet, muss das Teil ausgetauscht werden. Gleiches gilt bei Beschädigungen wie etwa abgebrochenen oder eingerissenen Zähnen. Bei Shimano-Kassetten lassen sich übrigens verschlissene Ritzel einzeln austauschen – eine gute Option, wenn der Zustand der Kassette ansonsten in Ordnung ist. Schaltröllchen sollten spätestens dann getauscht werden, wenn die Zähne anfangen spitz zuzulaufen. Hier wirkt sich Verschleiß aber nur auf die Funktion des Antriebs aus, nicht auf den Verschleiß anderer Komponenten.
Gewährleistung bei Verschleißteilen? Gibt es das überhaupt?

Hersteller Dirk Zedler, vereidigter Sachverständiger für Elektro-Fahrräder, gibt Auskunft.
EMTB: Gibt es eine Gewährleistung auch auf Verschleißteile?
Dirk Zedler: Sachmängelhaftung, das ist mittlerweile der korrekte Terminus, ist bei Verschleißteilen ein heikles Thema. Grundsätzlich sind Verschleißteile von der Sachmängelhaftung nicht ausgenommen. Auch solche Produkte müssen sich in einer für diese Kategorie vernünftigerweise anzunehmenden Lebensdauer bewegen.
Das lässt Spielraum zur Interpretation. Was genau wäre eine vernünftigerweise anzunehmende Lebensdauer bei einem E-MTB-Antrieb?
Eben darüber gibt es häufig Streit. Gerade die richtige Pflege und die Wartungs- und Wechselintervalle eines Produkts sollten Inhalt einer guten Bedienungsanleitung sein. Im Zweifel wird ein Sachverständiger befragt. Ich bin der Meinung: Eine Fahrradkette an einem hochwertigen E-Bike für beispielsweise 4000 Euro sollte mindestens 1000 Kilometer halten. Komponenten wie die Kassette entsprechend länger. Aktuell ist das kaum realistisch, weil bei E-Bikes immer noch Komponenten zum Einsatz kommen, die der hohen Antriebskraft nicht gewachsen sind. Eigentlich unzumutbar für den Verbraucher.
Warum gibt es da trotzdem kaum Klagen gegen Händler oder Hersteller?
Bei Verschleißteilen ist einfach der Streitwert zu gering. Bei 250 Euro für eine neue Kette und Kassette wird sich kaum ein Anwalt finden, der deswegen vor Gericht zieht. Außerdem federn hier wahrscheinlich die Händler viel ab. Anders dagegen ist es bei kapitaleren Schäden, mit denen sich auch die Händler überfordert sehen. Zum Beispiel bei Schäden an der Elektronik. Wegen des größeren Streitwerts geht es hier auch häufig um die Rückabwicklung eines ganzen Kaufvertrags, und Prozesse sind wesentlich häufiger.
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