Jörg Spaniol
, Stefan Frey
· 09.03.2016
Einen Tod muss man sterben, heißt es: Manche Bike-Schuhe sind gut beim Kurbeln, andere nur top in Schiebepassagen. Aber stimmt das? Zwölf angebliche Alleskönner wollen uns vom Gegenteil überzeugen.
Das Amphicar war immer nur ein fauler Kompromiss. Ja, es konnte an Land fahren, und ja, es konnte auch im Wasser schwimmen. Allerdings kippelte es hochbeinig durch Kurven und schaffte schnaufend gerade mal 120 auf der Autobahn. Nach fünf Stunden Badespaß musste das ganze Vehikel neu geschmiert werden, sonst schwamm das Amphicar schnurstracks dem Untergang entgegen. Mit Kompromissen kämpfen auch wir Biker: Will man mit steifen Sohlen über Marathon-Kurse sprinten, kann man damit kaum bis zum Verpflegungsstand stolpern, geschweige denn sicheren Tritts Steinfelder durchqueren. Dagegen besitzen passabel profilierte Touren-Treter oft die Energieeffizienz einer Scheibe Brot. Die Kraft verpufft in der weichen Sohle, noch bevor sie überhaupt am Pedal angekommen ist.
Doch das könnte sich jetzt ändern. Dank des Enduro-Trends konstruieren die Hersteller Modelle, die das Beste aus beiden Welten verbinden sollen: steife Sohlen mit griffig gummiertem Profil. Kann das funktionieren? Wir haben bei den Herstellern nach All-Mountain- und Enduro-Modellen gefragt und zwölf Exemplare zum Test erhalten.
Diese Touren-Schuhe finden Sie im Test:
• Bontrager Rhythm MTB (BIKE-TIPP: Preis/Leistung)
• Five Ten Kestrel
• Gaerne G.Nemy
• Giro Terraduro (BIKE-TIPP: Ausstattung)
• Lake MX145
• Mavic Crossmax
• Pearl Izumi X-Alp Enduro IV
• Scott A.T.R.
• Shimano SH-M200 (BIKE-TIPP: Testsieger)
• Specialized Rime Expert
• Suplest X.1 Trail
• Vaude Taron Low AM
Innovationen bei Touren-Schuhe für Mountainbiker
Mit klassischen Touren-Schuhen haben die meisten Modelle nur noch wenig gemeinsam. Schnürsenkel bindet man nur noch beim Gaerne G.Nemy und beim Vaude Taron. Die übrigen Schuhe schließt man per Klett, Ratsche, Schnellschnürsystem oder dem praktischen Boa-Drehverschuss. In den meisten Fällen aber kombinieren die Hersteller mindestens zwei dieser Systeme. Zwei Klettverschlüsse plus Boa oder Ratsche fixieren den Fuß am besten im Schuh. Aber auch der spezielle Shimano-Verschluss aus Quick-Lace, Ratsche und Klettlasche, gibt guten Halt. Ist nur ein einzelnes Boa-Rädchen verbaut, wie bei Five Ten und Scott, wird der Druck nicht optimal am Fuß verteilt.
Wir montierten Cleats und begaben uns ins Testlabor. Dort wurden die Testschuhe, eingeklickt in ein fixiertes Pedal, mit einem definierten Gewicht belastet. Über die Auslenkung der Sohle ermittelten wir so die Steifigkeit. Das Ergebnis lässt staunen: Five Ten und Specialized stemmen sich wie eine Staumauer gegen das andrückende Gewicht und erreichen Werte, die sich durchaus mit einem guten Race-Schuh messen lassen können. Vergleicht man die Werte mit dem Test von 2013, könnte man meinen, man hätte damals mit Badelatschen ins Pedal getreten. Bis auf Gaerne, Pearl Izumi und Scott erzielen sämtliche Modelle steifere Werte als die Testschuhe von vor zwei Jahren. Um zu prüfen, ob das Plus an Steifigkeit in der Praxis auch wirklich umsetzbar ist, heizten wir über unsere Testrunde am Gardasee. Kräfteschonend gewannen wir mit den steifen Tretern schnell an Höhe. Nur mit den drei weicheren, zuvor erwähnten Modellen, standen wir etwas wacklig im Pedal und brachten nur wenig Druck auf die Kurbel. In einer felsigen Schiebepassage konnten Gaerne und Scott dann endlich punkten. Das Gummi ihrer Vibram-Sohlen verbeißt sich im Gestein wie ein Raubtier in seiner Beute. Ganze fünf Hersteller gehen mit dem italienischen Gummi-Spezialisten eine griffige Verbindung ein. Komfortables Gehen garantiert das Gummi allein aber nicht: Mit dem Kestrel von Five Ten und Specializeds Rime liefen wir berghoch, als hätte man uns ein Brett an die Fußsohlen genagelt. Die Sohlen sind so steif wie ein britischer Butler. Die Hersteller müssen also sorgfältig konstruieren.
Und damit sind wir wieder beim Thema Kompromiss: steif, an den Stellen, an denen die Kraft ins Pedal eingeleitet wird und nachgiebig, wo der Schuh beim Laufen abrollen soll. Vor allem Giro und Shimano haben ihre Hausaufgaben gemacht und Sohlen konstruiert, mit denen man Gas geben kann und dennoch komfortabel über unwegsames Gelände marschiert. Am Ende bleibt die Einsicht, dass ein Touren-Schuh wohl immer ein Kompromiss bleiben wird. Mittlerweile jedoch kein fauler mehr, wie das Amphicar.
TOUREN-SCHUHE IM DETAIL
1. Verstärktes Material an den Zehen und am Knöchel schützt den Fuß in technischem Gelände vor Kontakt mit Hindernissen oder auch der Kurbel.
2. An der Ferse sollten Touren-Schuhe nicht zu flach geschnitten sein, ansonsten bieten sie beim Laufen nicht genügend Halt. Unbedingt vor dem Kauf im Laden ausprobieren!
3. Ratsche und Boa fixieren den Fuß super im Schuh. Auf Mehrtages-Touren kann eine klassische Schnürung aber von Vorteil sein. Ersatz für Schnürsenkel bekommt man quasi überall.
4. Zum Schutz vor Steinkontakt auf Schiebepassagen sollte die Sohle an der Zehenbox nach oben gezogen sein. Das macht den Schuh unempfindlicher und haltbarer.
5. Komfort ist auf langen Touren wichtig. Achten Sie deshalb auf ausreichend Platz im Zehenbereich und vor allem auch am Spann.
6. Die Sohle sollte für gute Kraftübertragung unter den Cleats möglichst steif sein. Im Zehen- und Fersenbereich muss der Schuh für mehr Laufkomfort allerdings ausreichend flexen.
Diesen Artikel bzw. die gesamte Ausgabe BIKE 7/2015 können Sie in der BIKE-App (iTunes und Google Play) lesen oder die Ausgabe im DK-Shop nachbestellen: