Robert Kühnen
· 22.08.2019
Jet-Technik für Biker: Die Raptor-Datenbrille spiegelt Landkarten, Tracks und Daten direkt ins Blickfeld des Fahrers. Begeistert oder irritiert das Headup-Display auf dem Trail? Wir haben es getestet.
Die Sonne blitzt, der Schotter spritzt, der Wald verwischt zu einem grünen Streifen. Adrenalin und Endorphin kämpfen im Rausch der Geschwindigkeit um die Vorherrschaft. Laufen lassen ist die logische Konsequenz. Dass da eine Abbiegung war, sieht man erst 200 Tiefenmeter später, wenn die Sonne im Rücken das Display am Lenker wieder leserlich beleuchtet. Mist! Hundert Mal erlebt. Mindestens. Das kennen Sie, oder?
Navigieren bei voller Fahrt hat seine Tücken. Die Displays am Lenker sind oft nur schwer ablesbar. Und von einer schnarrenden Computerstimme aus dem Smartphone im Rucksack lässt man sich auch ungerne leiten. Damit könnte jetzt Schluss sein. Denn Everysight, ein Ableger eines israelischen Spezialisten für Pilotenhelme, hat mit der Raptor-Brille die erste Sportbrille geschaffen, mit der umfassend Daten und Darstellungen dezent ins Sichtfeld des Fahrers projiziert werden können.
Die Raptor ersetzt damit Computer und Display am Lenker. Die Bedienung erfolgt über ein Touchpad am rechten Brillenbügel oder über einen drahtlosen Controller mit Tasten am Lenker. Die Raptor hat eingebautes GPS, versteht Bluetooth und ANT+, und lässt sich mit Sensoren aller Art paaren, deren Daten auf bis zu sechs individuell konfigurierbaren Ansichten vor den Augen schweben. Aber das ist noch nicht alles: Die smarte Brille hat auch eine Sprachsteuerung, kann auf Kommando fotografieren, filmen und Musik abspielen. Telefonieren kann sie nicht. Zum Glück. Aber ein Smartphone ist als Schnittstelle nötig, um die Brille einzurichten und um gewonnene Daten in die Cloud zu schicken.
Die Brille wiegt 100 Gramm. Im Rahmen sitzen Computer und Projektor, die Daten auf eine teilverspiegelte Fläche des rechten Glases schicken. Mitten ins Blickfeld. Die genaue Position und Größe der Projektion kann über die App am Smartphone eingestellt werden. Auch alle weiteren Konfigurationen geschehen über die App. Das GPS-Signal holt sich die Brille wahlweise auch vom Smartphone.
Der Hauptschalter befindet sich auf der Unterseite des linken Brillenbügels, an dessen Ende sitzt die Micro-USB-Buchse zum Laden des internen Akkus. Bis zu acht Stunden soll dieser Saft liefern. Vor der ersten Fahrt müssen Smartphone und Brille gepaart werden, ebenso die Sensoren. Dann heißt es, das Bedienschema zu verinnerlichen. Vor- und zurückwischen am Bügel, antippen, nach unten wischen usw. Die Menüs scrollen vor den Augen durch.
Für die Navigation stellt Everysight Open-Street-Maps online zur Verfügung. Diese müssen in den passenden Ordner der Brille kopiert werden. Die Track-Darstellung taucht, wahlweise auch mit hinterlegter Karte, im Blickfeld auf. Die Aufzeichnungen landen im persönlichen Bereich der Everysight-Cloud, die kostenlos genutzt werden kann. Von dort lassen sich die Daten auch exportieren oder zu Strava schicken.
Blümchen gucken kann man vergessen. Zu Beginn der Raptor-Beziehung wähnt man sich mit der Brille auf der Nase in einem Jet. Im dunklen Tann sticht die gelbe Navigation markant hervor, der sich in Bewegungsrichtung drehende Track und der Navigationskreis, der die Richtungstendenz anzeigt, bringen Tiefflug-Feeling. Begegnungen mit Wanderern sind schräg. Schaue ich so komisch, oder sieht die Brille so spacig aus? Die virtuelle Ebene ist von außen unsichtbar, beeinträchtigt aber die menschliche Interaktion.
Auch auf neuen Wegen, vorher auf Karten zusammengeklickt, bleibe ich auf Kurs. Ein Wisch auf dem Bügel nach hinten und ich sehe im Höhenprofil, was noch kommt. Navigation und Übersicht: eine Eins mit Sternchen! Für den Wald sollte es aber die hellere Scheibe (89 Euro extra) sein, das Standardgrau passt bei Sonnenbeschuss, aber nicht im Unterholz. Mit der Zeit gewöhne ich mich an die Info-Flut, dimme den Projektor, oder schalte zwischendrin die Anzeige aus. Die Technik macht einen ziemlich ausgereiften Eindruck, nur zu einigen ANT+Sensoren verliere ich vorübergehend die Funkverbindung. Eine automatische Helligkeitsanpassung bei Licht-Schatten-Wechseln fehlt.
Die 100 Gramm auf der Nase sind durch die guten Nasenflügel erträglich, aber in rauem Gelände hüpft die Brille bis an die Helmunterkante. Für die breiten Bügel ist nicht viel Platz, sie kollidieren mit dem Helmgeschirr, auch der Anpressdruck hinter den Ohren ist groß. Das sind kleine Komforteinbußen gegenüber Standardgläsern, aber funktional ist die Raptor ein Hammer. Im schweren Gelände gibt der Bluetooth-Controller am Lenker mehr Sicherheit als das Tippen am Brillenbügel. Die Kameraleistung ist okay, ersetzt aber keine richtige Kamera. Nach einer Woche mit der Raptor ist man entspannt genug, auch während der Fahrt wieder nach den Blümchen zu schauen.
Die Raptor-Technik ist wegweisend. Nie war Navigieren intuitiver. Den Track stets direkt vor Augen, lässt sich dieser kaum verfehlen. Die Projektion in die Brille ist knackig scharf und smart, die Bedienung gut. Bei Bedarf lassen sich Daten und Karte ausblenden. Wesentliches Handicap: Die Brille trägt dick auf, es kann eng werden unterm Helm.
Web www.everysight.com
Gewicht 100 Gramm
Preis 750 Euro (16 GB Speicher)
Optionen 32 GB Speicher (800 Euro), hellere Wechselgläser, Fassung für Korrekturgläser, Bluetooth-Controller für Lenker
Funktionen Navigieren, Daten darstellen, trainieren, filmen & fotografieren, Musik abspielen
Diesen Artikel finden Sie in BIKE 12/2018. Die gesamte Digital-Ausgabe können Sie in der BIKE-App (iTunes und Google Play) lesen oder die Print-Ausgabe im DK-Shop nachbestellen – solange der Vorrat reicht: